Die Frage nach der Verantwortung des Menschen ist eine philosophische. Die Beantwortung eine sehr praktische. Denn wer Verantwortung einfordert, muss sie auch für sich leben. Das fängt beim Denken an.
Wir leben – mindestens hier im Westen – in einer reizüberfluteten Welt hedonistisch geprägter Individualität, in der gesellschaftliche Werte zwar oft angemahnt, selten aber wirklich konsequent gelebt werden. Das mag auch damit zusammenhängen, dass menschliche Tugenden wie etwa die Besonnenheit, der Sinn für Gerechtigkeit oder aber Klugheit heute einen weniger hohen Stellenwert geniessen. Es dominieren das Ego, die Selbstverliebtheit und das Verhaftetsein im Augenblick – und damit einhergehend auch eine gewisse Nonchanlance gegenüber dem, was da auch noch wäre oder gar kommen könnte.
Vom Gedanken zur Handlung
Wenn wir also vom grossen Wort „Verantwortung“ sprechen im Kontext eigenständigen Denkens in Medien und Gesellschaft, dann schwingt hier immer die Erwartung mit, dass der Mensch als Singular in Denken und Handeln Verantwortung wahrnimmt und wahrnehmen will – und dies auch nutzstiftend sei. An das Gute glaubend zweifle ich ja nicht daran, dass dem so ist. Nur bin mich ehrlicherweise nicht mehr so sicher, ob es sich gesellschaftlich einfordern lässt.
Und ich frage mich: Kann ich von jemandem erwarten, sich in seinem Denken eigenständig zu bewegen? Ich kann jemanden natürlich dazu ermuntern. Sichtbar wird aber die Leistung der Gedanken ja erst dann, wenn sie transparent werden – in Form von Worten und von Handlungen.
Der „Freidenker“ – oder noch pointierter, der „Querdenker“, ist daher in meiner Wahrnehmung ein Mensch erst dann, wenn er sichtbar beweist, sich nicht an gängige Denkmuster zu halten, sondern er die Reibungsflächen sucht, sich den Konventionen verweigert oder diese mindestens kritisch hinterfragt – und idealerweise dies in einer konstruktiv-kritischen Art leistet, wenn es also diese Person schafft, die Gesellschaft in ihrem schläfrigen, wohligen Dasein wachzurütteln und ihr immer von Neuem Impulse zu verleihen.
Schmerzresistenz gefordert
Solches zu tun bedingt aber – erneut – Tugenden: Wie bsp. Mut, die Lust am Streit, durchaus auch Schmerzresistenz – denn wer Querdenkertum leistet, exponiert sich, setzt sich seinerseits der Kritik aus, ja der Häme und der bösartigen Diskreditierung auch von Persönlichkeit und Charakter.
Die Medien sind dabei Sprachrohr, Hebel und Vollzugsorgan in einem – sie können aber gleichzeitig durchaus auch Querdenker die Plattform bieten, die diese benötigen, wollen sie Menschen erreichen.
Für Journalisten selbst wiederum wäre Querdenken an sich eine Frage von Berufung und Berufsethos. Wäre. Denn wer, wenn nicht Journalisten, sollte sonst für das kreative Hinterfragen und die Lust am Diskurs gar noch einen Lohn verlangen dürfen? – Literaten vielleicht, ja – doch von diesen gibt es mindestens mit politischem und gesellschaftlichem Engagement in diesem Land nicht mehr arg viele. Die grossen Eichen Dürrenmatt und Frisch haben viel Schatten geworfen, unter dem bis heute nur wenig Neues, Eigenständiges und vor allem Relevantes hat entstehen können.
Dabei sollte Scharfzüngigkeit nicht mit Scharfsinnigkeit gleichgesetzt werden. Süffig und angriffig schreiben oder sprechen ist eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung, dass dahinter auch immer ein kluger und v.a. reflektierter Gedanke steht. Und nicht jede Rakete ist den Knall wert, den sie beim Explodieren verursacht. Die träge verglimmenden Sternchen danach sind des Öftern recht banal.