Das Verhältnis der Schweiz zu Europa gleich jenem eines alternden Ehepaars; man ist sich überdrüssig, scheiden aber kann man sich nicht, weil zu viel auf dem Spiel steht. Der Bilateralismus als „Königsweg“ ist durch die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative in Frage gestellt. Allerdings liegen die Probleme sehr viel tiefer. Die Schweiz hat noch immer keine Antwort auf die Zäsur von 1989 gefunden. Das muss sich zeitnah ändern.
Im Lande Tells gibt es einen Mangel an Bewusstsein und damit auch an Willen, sich den Herausforderungen eines immer stärker integrierten Europas und einer immer interdependenteren Welt zeitgerecht und mit etwas mehr Mut zu stellen. Die politische Konstellation in unserem Land hilft dabei nicht. Wir haben für einige ganz gewichtige Fragen der Zukunftssicherung für dieses Land zunehmend Mühe, noch Mehrheiten in Parlament und beim Souverän zu gewinnen. Der Gesetzgebungsprozess ist in der Schweiz zwar solide, aber eben auch langsam – und führt in aller Konsequenz dazu, dass eher statische Lösungen entstehen, nicht dynamische Lösungskonzepte.
1989 nicht verstanden
Dazu gehört auch und zuvorderst die Frage nach dem Verhältnis der Schweiz zu Europa. Dass das so ist, hat viele Gründe: Die Zäsur des Endes des Kalten Krieges etwa, die für die Schweiz eine völlig andere Bedeutung hatte als für die Länder Europas, allen voran Deutschland; die damit einhergehende epochale Veränderung in der politischen Geographie nicht nur dieses Kontinents, sondern global; die durch die Balkankriege enttäuschte Hoffnung der frühen Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts auf eine lang anhaltende Friedensdividende; die Relativierung der Pax Americana im Zuge von 9/11 und dem bis heute anhaltenden Krieg gegen den Terrorismus; der Aufstieg Chinas zur neuen Weltwirtschaftsmacht und – eher bedrohlich – zum heimlichen militärischen Drachen, mindestens im asiatisch-pazifischen Raum; die Renaissance der Ambitionen im Kreml, aus Russland wieder ein Imperium zu machen, was zwar an harten Fakten gemessen eher frivol erscheint, sicherheitspolitisch aber ein beträchtliches Schadenspotenzial besitzt.
Kurzum: Während wir Schweizer gerne unsere politische Agenda entlang der Binnenwahrnehmung strukturieren und sich die exportorientierte Wirtschaft und der hier domizilierte internationale Dienstleistungshub in einer Art Parallelwelt längs globalisiert hat, sucht Europa nach Halt in dieser sich dramatisch verändernden Welt. Die da heisst:
- Die USA sind mehr denn je eine pazifische Macht, deren Interessen nicht erst unter der Administration Obama nicht mehr unbedingt in Einklang stehen mit jenen Europas – und eine Macht überdies, die zwar global immer noch als einzige die Potenz besitzt, ordnend einzugreifen – dies aber aus innen- und finanzpolitischen Rücksichtsnahmen immer weniger tun wird, mindestens dort nicht, wo eigene Interessen nicht gross tangiert sind.
- Asien im Generellen, China im Speziellen, lernen schnell und rücksichtslos dazu; wir können das als Bedrohung wahrnehmen, etwa bei der rasanten Aufrüstung und dem technologischen Fortschritt, oder positiv – etwa im Bereich des Umweltschutzes, der gerade in China, aber auch in Indien, als notwendig und durchaus auch als ökonomisch erwünscht erkannt worden ist. Der etwas selbstgefällige Ausspruch von uns Europäern, Indien werde kollabieren, wenn jeder sich auch ein Auto leiten könne oder in China einen Kühlschrank, zielt jedenfalls an der effektiven Entwicklung in beiden Ländern vorbei.
- Russland wiederum bleibt auf Zusehen eine „old economy“, die auf die Ausbeutung immenser Ressourcen setzt und diese in einer toxischen Mischung aus Kleptomanie, Nepotismus und Autoritarismus für ganz wenige gewinnbringend kapitalisiert. Politisch ist das Land wohl stabil, rechtsstaatlich sicher nicht, und sicherheitspolitisch ist es in zunehmendem Masse ein Risiko.
- Der Nahe Osten wiederum zerfällt immer mehr in sektiererische Kriege; religiöser Fanatismus nährt sich an der Deprivation ganzer Generationen, allen voran jener der Jugend, während auf der anderen Seite Prunk und Prunksucht herrschen – noch finanziert durch die Öl- und Gasquellen der Region.
- Afrika schliesslich, mindestens weite Teile, verharrt vielerorts in Agonie; Despotismus, bad und failed government, immenser unausgeschöpfter Reichtum und Armut dominieren, auch wenn es einzelne Lichtblicke gibt und jede Verallgemeinerung den Keim des Unrichtigen in sich trägt.
Es geht nicht darum, mit diesem kurzem Tour-d’Horizont der Welt in ihrer unendlichen Facetten gerecht zu werden. Wichtig ist vielmehr die Erkenntnis, dass in dieser Welt Europa liegt und in dieser Welt die Schweiz. Und ich bin daher dezidiert der Auffassung, dass wir – wenn wir von Europapolitik sprechen – immer im Blick behalten müssen, in welchen globalen Veränderungen sich dieses Europa bewegt.
Kein Königsweg mehr
Darum ist der Bilateralismus in seiner heutigen Form weder für Europa noch für die Schweiz noch ein Königsweg. Es ist ein Weg, den man möglicherweise noch etwas weitergehen kann, aber er führt nicht zu einem Grat, auf dem sich der Horizont zeigt, sondern in ein immer engeres Bergtal. Oder weniger poetisch: Den Problemstellungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird er in dieser Form nicht.
Wohlgemerkt: Er hat die Eidgenossenschaft in fast genial zu nennender Weise vor der Isolation bewahrt, in die das Land angesichts der aussichtslosen Alternative eines Beitritts zur damaligen Europäischen Gemeinschaft nach dem Nein zum Beitritt in den gemeinsamen Markt 1992 geschlittert wäre. Ohne Bilateralismus stünde die Schweiz heute sehr viel schlechter da.
Ich halte auch gar nichts vom Vorwurf, die Schweiz sei eine Rosinenpickerin. Die Schweiz fällt der EU seit jeher nicht zur Last, sondern behauptet sich dank einer klugen Kombination aus politischer Offenheit, binnenwirtschaftlicher Liberalität, fiskalpolitischem Masshalten und föderalem Wettbewerb eigenständig und erfolgreich. Es sind dies Werte, die eng an das Schweizerische Verständnis von Freiheit und Eigenverantwortung auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene gekoppelt sind und elementar das Verhältnis zwischen Bürger und Staat prägen. Und es entspricht dies auch den verfassungsrechtlichen Grundsätzen unseres Landes.
Sinnigerweise führt der Bilateralismus ohne Anpassung zu einer EU-Mitgliedschaft der Schweiz ohne Mitsprache – nur schon Kraft der Acquis-Übernahme.
Natürlich profitiert die Schweiz von der Europäischen Union und dem europäischen Binnenmarkt. Rund 60% unserer Exporte gehen in die EU. Die Union, allen voran Deutschland, sind die wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Die EU wiederum erhält aber auch viel von der Schweiz. So gesehen sind die gültigen Vertragswerke eben Verträge, die auf der Basis langwieriger Verhandlungen und nüchterner Interessenabwägung zwischen Bern und Brüssel und zwischen Bern und allen 28 Mitgliedsstaaten der Union geschlossen wurden. Und es sei gerade ausländischen Kritikern immer wieder vermittelt, dass kein anderes Volk in Europa so oft und so oft so positiv über europapolitische Vorlagen abgestimmt hat wie das der Schweizer. Nur eben: Demokratie hat es an sich, auch Entscheidungen zu produzieren, die vielleicht nicht immer allen gefallen – wie jene zur eigenständigen Regelung der Zuwanderung.
Beitritt ohne formelle Mitsprache
Wir Schweizer müssen freilich selbstkritisch festhalten, dass wir bis dato keine tragfähige längerfristige Strategie entwickelt haben, die das Problem der sich rapide veränderten europäischen Politgeographie behandelt – allen voran die Dynamisierung der inner-europäischen Verfasstheit und der wirtschaftspolitischen Integration. Viel eher sind wir geübt in der Bewältigung von Konflikten – Stichwort nachrichtenlose Vermögen -, selbst induzierten Krisen – Gefährdung der bilateralen Verträgen infolge der Annahme der Masseineinwanderungsinitiative – oder bei der Verteidigung unserer Standards – etwa das Bankkundengeheimnis –, wobei wir jeweils Lösungen finden, die das Problem mindestens entschärfen, wir aber gleichzeitig der Gegenseite grosse Zugeständnisse machen und eigene hehre Prinzipien über Bord werfen müssen.
Sinnigerweise führt der Bilateralismus ohne Anpassung zu einer EU-Mitgliedschaft der Schweiz ohne Mitsprache – nur schon Kraft der Acquis-Übernahme. Man kann es drehen und wenden wie man will: Wir entscheiden vielleicht noch formal gesehen souverän, faktisch aber nicht autonom, sondern wir müssen sinnvollerweise Schritt für Schritt dem folgen, was Brüssel und die 28 EU-Mitgliedsländer vorgeben – weil auch im bilateralen Verhältnis Normen gesetzt werden, denen sich weder die Schweiz noch die einzelnen EU-Mitglieder einfach entziehen können.
Nun ist aber ein EU-Beitritt für die Schweiz absehbar keine Option, weil Volk und Stände mehrheitlich ein solches Beitrittsgesuch ablehnen würden. Die EU ihrerseits aber verändert sich rascher als je zuvor, spätestens seit den Lissabonner Verträgen verstärkt auch institutionell und rechtlich. Die Gewichte verschieben sich dabei zulasten des Nicht-Mitgliedes Schweiz. Der Bilateralismus wird damit als Instrument zur Durchsetzung Schweizer Interessen steiniger, weil sein Nutzen in der stärker integrierten EU angesichts der Unabwendbarkeit des Schweizer Nachvollzugs abnimmt. Damit verliert die Schweiz faktisch an europapolitischem Handlungsspielraum.
Hehre Prinzipien über Bord geworfen
Nun könnte man folgern, dass gerade darum die Schweiz alles daran setzen sollte, ihre bi- und multilateralen Beziehung zum Rest der Welt auszubauen. Avenir Suisse zum Beispiel betont in ihrem klugen Kompendium der „44 Ideen für die Schweiz“ den Ausbau der Freihandelsabkommen als mögliche Ergänzung zu einer über Zeit möglicherweise wieder distanzierten Beziehung zur Union. Und ich kann mich noch gut an Aussagen aus dem Umfeld der SVP erinnern, die im Kampf gegen Europa für eine stärkere Orientierung in Richtung USA plädierten – wobei das noch vor der Auseinandersetzung um die Steuerflucht amerikanischer Bürger war. Nun denn: Die Entwicklung der letzten Jahre zeigen, dass solche Szenarien zwar durchaus ihren Reiz haben, sicher aber nicht ausreichen, um quasi die Europapolitik in ihren grundsätzlichen Problemstellungen zu entlasten.
Die EU und die Schweiz gleichen einem zankenden Ehepaar, das sich weder lieben noch scheiden kann – weil für die Liebe zu wenig und für die Scheidung viel zu viel auf dem Spiel steht.
Denn die Welt hat sich eben auch ausserhalb der Union entwickelt. Waren es bisher die OECD, die Weltbank, der IMF oder die WTO, in denen die Schweiz eine Mitsprache besass, sind es heute die G-7/8, die G-20 oder der European Stability Board, die tonangebend sind. Kurzum: Europa bleibt für die Schweiz die dominierende Orientierungsmarke, das kann man drehen und wenden wie man will.
Und so gleicht das Verhältnis der Schweiz mit Europa ein wenig einem sich ständig zankenden Ehepaar, das sich weder lieben noch scheiden kann – weil für die Liebe zu wenig und für die Scheidung viel zu viel auf dem Spiel steht.
Eine intensive öffentliche Auseinandersetzung über diese paradoxe Entwicklung fehlt derzeit fast gänzlich. Regierung, Parlament und politische Eliten scheuen eine unvoreingenommene Debatte zur Europapolitik. Alle etablierten Parteien scheuen das Thema, die SVP ausgenommen, die ganz wie die UKIP in Grossbritannien eigentlich primär über dieses Thema spricht – wobei sie es ja nicht im Sinne einer aussenpolitischen Kurssetzung tut, sondern als innenpolitisches Mantra für mehr Autarkie und sogenannte Selbstbestimmung, die faktisch einhergeht mit einer zunehmenden Abschottung.
Am Ende schadet Isolation jenen, die keinen Schaden befürchten
Das all dies bisher doch so gut funktioniert hat, mag auch daran liegen, dass vor allem die exportorientierte Wirtschaft – die rund 50 Prozent zur hiesigen volkswirtschaftlichen Leistung beiträgt – ihrerseits mit dem Status quo des Bilateralismus gut leben kann. Entsprechend nervös ist man nun in verschiedenen Konzernzentralen über die Zukunft angesichts der Tatsache, dass mit der Beschränkung der Zuwanderung faktisch die Bilateralen zur Debatte gestellt sind. Während sich die Binnenwirtschaft und v.a. auch das Gewerbe eher verhalten äussert, ja gar gewisse Sympathien zu hegen scheint mit diesem regressiven Kurs, geht in der öffentlichen Wahrnehmung gerne vergessen, dass es sich bei den exportorientierten Unternehmen in der Tendenz um „fittere“ Betriebe handelt, die sich besser an neue Marktbedingungen anpassen können und vor allem auch sehr viel mobiler sind als die Binnenwirtschaft, die auf das Nationale konzentriere Politik und die Gesellschaft, die satt und etwas träge geworden ist.
Kurzum: Den wahren Preis für weniger Offenheit und Interdependenz wird primär jener Teil der Schweiz tragen, der sich eher schwer tut mit einem Mehr an Offenheit und Interdependenz.
Die europäische Integration ist in ihrer ganzen Dynamik, der positiven wie der negativen, eine unumstössliche Realität, die auf weite Zukunft Bestand haben wird. Wie sie sich entwickelt, ist offen. Sicher aber ist, dass sie für die Schweiz viele Konsequenzen hat, einige davon sind höchst unerfreulich. Und es ist unbestreitbar, dass die Union und ihre derzeit 28 Mitgliedsländer mit sehr problematischen Entwicklungen konfrontiert sind.
Den wahren Preis für weniger Offenheit und Interdependenz wird primär jener Teil der Schweiz tragen, der sich eher schwer tut mit einem Mehr an Offenheit und Interdependenz.
Gleichwohl: Zu meinen, die Schweiz im Herzen Europas könne sich davon abkoppeln, tönt zwar reizvoll, ist aber völlig unrealistisch. Fast alles spricht dagegen: Geografie, Verflechtung, Grösse und Bedeutung des Landes, Demografie, politische Struktur und Wirtschaftssystem, Kultur und Geschichte, Selbstverständnis und Prägung.
Der Schweiz dient ein starkes Europa
Klar ist jedoch auch, dass eine EU-Mitgliedschaft aus sehr ähnlichen Gründen beim Souverän absehbar nicht auf Zustimmung stossen wird. Im Gegenteil: Einiges deutet darauf hin, dass sich die Unverträglichkeit der zwei Konzepte – das der Schweiz und das der Union – eher noch verstärken wird. So gesehen hat der klare Wahlsieg der Tories in Grossbritannien und David Cameron zweifellos die Hoffnungen gewisser Schweizer genährt, die Union werde von sich aus „weicher“ bei der Durchsetzung der vier Grundfreiheiten, um einem Austritt des Vereinigten Königreichs vorzubeugen. Ich halte das für eine grosse Illusion.
Mein Eindruck ist, dass unsere Interessen weder konsistent noch stringent sind, wenn ich die verschiedenen Äusserungen der entscheidenden Stakeholders in der Verwaltung, auf den verschiedenen staatlichen Ebenen, in der Politik, in der Wirtschaft und in der Wissenschaft zum Nennwert nehme.
Dass ich eben die Verwaltung als erstes genannt habe, war sehr bewusst; denn faktisch ist sie es, die derzeit am ehesten in der Lage sind, kontinuierlich und mit grosser Fachkenntnis das bilaterale Verhältnis zu gestalten, das ja aus über 100 Abkommen besteht und weit komplexer ist gemeinhin angenommen. Nur ist dies ein primär technischer Vorgang, der eine breit geführte und vor allem auch schonungslose Debatte zur Europapolitik keinesfalls ersetzt.
Wie aber soll es nun weitergehen? Es gibt Ansätze, die aber alle ihre Nebenwirkungen haben: Formell betrachtet wollen beide Partner belastbare Verlässlichkeit, statt ad-hoc-Lösungen. Das spricht für einen institutionellen Rahmen. Damit wäre beiden Partnern eigentlich mit einer variable Geometrie statt mit statischen Verträgen besser gedient, wobei dies seitens der EU das Zugeständnis der „Sonderbehandlung“ der Schweiz, von der Schweiz wiederum die Bereitschaft zu asymmetrischen Konzessionen abverlangen würde. Die Schweiz muss ihre Liberalität unter Beachtung von internationaler (nicht nur europäischer) Kompatibilität als für einen ressourcenarmen Kleinstaat existenziell bewahren.
Bedarf an einer breit geführten Debatte
Praktisch bedeutet dies, dass es in beiderseitigem Interessen liegt, dass die Schweiz als grundsätzlich gleichberechtiger Partner am Binnenmarkt partizipieren kann, weil überdurchschnittlich wettbewerbsstark und damit auch für Europas Wirtschaft wertschöpfend. Die Schweiz könnte darüber hinaus eine herausragende Rolle bei Wissens- und Bildungstransfer in Europa übernehmen – etwa durch die bewusste Förderung von Studierenden aus den neuen Mitgliedsstaaten Europas. Sie liesse sich im Rahmen der neutralitätspolitischen Auflagen durchaus stärker in die europäische Sicherheitsarchitektur integrieren. Europa darf von der Schweiz erwarten, dass es auch in ihrem Interessen liegen muss, die Krisen der Gegenwart in Europa zu bewältigen. Denn auch der Schweiz dient ein starkes Europa, ein starker Euro allem voran. So gesehen liesse sich im Sinne einer interessengeleiteten Solidarität ein grösserer, ja möglicherweise sogar ein überproportionaler Beitrag der Schweiz an der Bewältigung der sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen der nächsten Jahre rechtfertigen.
Ziel müsste die Klärung der Frage sein, wie viel Europa die Schweiz in einer dynamischen Entwicklung will – und wie viel Europa die Schweiz hinnehmen muss und zu welchem Preis
Dieses Land benötigt eine breit geführte Diskussion in der Bevölkerung und zwischen dieser und der Politik und der Wirtschaft über die Ausgestaltung einer interessengeleiteten Aussen- und Aussenwirtschaftspolitik, was unter vielem primär das Verhältnis zur Europäischen Union tangiert. Ziel müsste die Klärung der Frage sein, wie viel Europa die Schweiz in einer dynamischen Entwicklung will – und wie viel Europa die Schweiz hinnehmen muss, und zu welchem Preis. Soll der Bilateralismus zukunftsfähig bleiben, muss er sich dynamisch an neue Konstellationen anpassen können, er muss institutionell abgesichert sein, er muss verlässlich für alle Parteien funktionieren und er sollte im Sinne einer Bilanzierung modulartig ausgestaltet sein, wobei die Summe aller Module immer 100 geben muss. Eine solches Konstrukt mag auf den ersten Blick komplizierter aussehen als das bestehende. Freilich ist die Konzentration auf das Detail und die Normierung einer Entwicklung abträglich, die stärker auf Prinzipien und Prozeduren ausgerichtet ist, die inhaltsneutral garantieren, dass unterhalb eines Beitritts Länder wie das unsrige zu beidseitigem Gewinn an der Vergemeinschaftung der Europäischen Union partizipieren können.
All dies gesagt bleibt das eine Utopie, solange wir hier in der Schweiz unsicher sind darüber, wie wir uns eigentlich in Europa verstehen. Sich auf den Status eines Nicht-Mitglieds zu reduzieren ist mir jedenfalls zu wenig. Denn auch als Nicht-Mitglied ist dieses Land Teil dieses Kontinents; und damit unabwendbar mit dessem Schicksal verbunden. Es ist in unserem ureigensten Interesse, alles daran zu setzen, dass Europa eine starke politische, wirtschaftliche und kulturelle Stellung in der Welt des 21. Jahrhunderts behält.