In einem aufgeheizten politischen Klima wird Sprache zu einem kardinalen Instrument der Beeinflussung von Emotionen. Provokationen sollen Aufmerksamkeit schaffen; gelingen tut dies besonders gut, wenn selbst jene, die solches Verhalten ablehnen, Teil des Resonanzkörpers werden. Mustergültig hat dies EU-Parlamentspräsident Schulz vorgemacht. Meine Gedanken dazu, erstmals publiziert in der Sonntagszeitung.
«Denken, drücken, schlucken, sprechen» – so wird angehenden Funkern weltweit vermittelt, wie man die Distanz zwischen Sprechzentrum und Mundwerk sinnvoll nutzt. Denn wer immer uns Menschen erschaffen hat, der liebe Gott, die Ursuppe oder eben doch vor Jahrtausenden Meister Zufall an der Abzweigung «links Affe – rechts alles andere»: Weitsichtig war, zwischen Stammhirn und vorderer Öffnung des Verdauungstraktes etwas Distanz einzubauen.
Da wir aber öfters nicht denken und nur sprechen, gibt es immer wieder Nahrung für den hinteren Ausgang. Die Forderung nach einem Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge etwa (Frauke Petry von der «Alternative für Deutschland», AfD) oder Donald Trumps Bemerkung, er könne in der Mitte der 5th Avenue stehen und jemanden erschiessen, ohne einen Wähler zu verlieren (was drastisch klingt, aber mit Blick auf den privaten Schusswaffengebrauch in den USA wohl leider wahr sein dürfte).
Redeverbot für gewählte Rassisten?
Diese Woche nun hat der Vorsitzende des EU-Parlaments, Martin Schulz, einen griechischen Abgeordneten der neofaschistischen Partei «Goldene Morgenröte» des Saales verwiesen, weil dieser in einer Debatte zum EU-Türkei-Gipfel durch üblen Rassismus aufgefallen war. Schulz begründete diese sehr seltene Sanktion mit dem Geschäftsreglement des Parlaments und der Notwendigkeit, dessen Würde als eine demokratische Institution zu schützen. Er erntete für seine Entscheidung grossen Applaus.
Der eine oder andere Abgeordnete wird sich allerdings auch gefragt haben, ob man einem demokratisch gewählten Volksvertreter das Wort verbieten darf und soll, selbst wenn er ein Rassist ist. Auf nationaler Ebene gibt es darauf mindestens juristisch eine Antwort, auch hierzulande. Das hohe Gut der Meinungsfreiheit ist nicht schrankenlos.
Wie sinnvoll jedoch einschlägige Verbote gerade von hetzenden oder rassistischen Verlautbarungen sind, muss immer wieder neu diskutiert und abgewogen werden. Blauäugig ist es, anzunehmen, damit verliere eine entsprechende Gesinnung an Attraktivität. Zu vermuten ist eher das Gegenteil. Die seit wenigen Wochen im Handel erhältliche kritisch kommentierte Neuauflage von Hitlers «Mein Kampf» ist in Deutschland bezeichnenderweise bereits wieder ein Verkaufsschlager; bis Ende 2015 war dort ein Nachdruck des Originals verboten. Ob es sich bei allen Käufern wirklich nur um historisch interessierte Demokraten handelt?
Natürlich sind wir entsetzt
Donald Trump hat den gezielt inszenierten Tabubruch zu seinem alleinigen Wahlkampfinhalt gemacht und ist auf bestem Wege, als Kandidat der Republikaner um den Einzug ins Weisse Haus zu kämpfen. Die AfD in Deutschland verschiebt durch radikale Äusserungen laufend Grenzen des politisch Denkbaren und wird dafür belohnt, thematisch Dauergast in deutschen Talkshows zu sein. Und ein irrlichternder griechischer Hinterbänkler schafft es, eine Ratsdebatte vorübergehend lahmzulegen, weil ihm Bühne und Publikum geboten sind.
Natürlich sind wir entsetzt. Aber natürlich schauen wir fasziniert zu. Denn die Logik der medialen Dauerbewirtschaftung von Emotionen bietet gedanklichen Fehlgriffen einen idealen Nährboden. Kamera, Mikrofon und virale Medien sind wie gefrässige Monster, die unentwegt gefüttert werden wollen. Und wir Konsumenten belohnen die Pointe und den Eklat. Und genau das machen sich Trump und Co. zunutze.
Mit Sicherheit jedenfalls hätte kaum jemand ausserhalb des EU-Parlaments vom gedanklichen Durchfall des Griechen Notiz genommen, hätte sich der Vorsitzende nicht die Mühe gemacht, ihn wörtlich zu zitieren und zu sanktionieren. Das war durchaus richtig.
Aber vielleicht wäre es klüger gewesen, es nicht vor laufender Kamera zu tun.