Es wird gehauen und gestochen, im Fernsehen zu bester Sendezeit, 24/7 in den sozialen Medien. Die Waffe ist das Wort, das Ziel sind die Weichteile des Gegenübers. Wen wundert es, wenn dabei zunehmend Grenzen verschoben werden – allen voran jene der Distanz zur realen Gewaltanwendung. Mit der Enttabuisierung von politischer Korrektheit hat das nichts mehr zu tun.
Politik ist ein harsches Geschäft. Nichts für Zartbesaitete. In Demokratien, in allen anderen Regierungsformen sowieso. Wer sich auf diese Bühne begibt, exponiert sich. Als Angreifer und Angegriffener. Als Kämpfer für „seine“ Überzeugung muss man austeilen und einstecken können.
In Richtung Weichteile
Der Transmissionsriemen zwischen Absicht und deren Vermittlung ist dabei das Wort. Und um dieses ist es nicht gut bestellt. Es entgleitet häufig, folgt der Schwerkraft nach unten, Richtung Weichteile. Im analogen und noch viel ungehemmter im viralen Raum. Es wird polemisiert, gezündelt, gedemütigt, beleidigt, bedroht und gehasst. Rhetorisch stilvoll in Zwirn und Schlips in den Talkshows zu bester Sendezeit, wie am Schweinetrog in den sozialen Medien. Hier dann aber mit Vorliebe anonym. Brandbeschleuniger trifft auf Brandstifter. Inzwischen ist daraus ein gesellschaftliches Grossfeuer entstanden.
Es geht scheinbar nur noch in Extremen. Für oder gegen, mit mir oder gar nicht! George W. Bush hat daraus vor einigen Jahren ein Regierungsprogramm gezimmert. Gut möglich, dass es ihm Donald Trump im November nachmachen könnte. Türkisch-stämmige Bundestagsabgeordnete in Deutschland benötigen Polizeischutz, weil sie Staatspräsident Erdogan nach der Armenien-Resolution öffentlich als Terroristen-Sympathisanten beschimpft. Journalistinnen und Politikerinnen wehren sich gegen Hasstiraden im Netz, die selbst vor Aufrufen zur Vergewaltigung nicht Halt machen.
Verbale Verrohung als Nährboden für Gewalt
Die Verrohung der Sprache führt vielleicht nicht direkt zur Gewalt. Aber sie schafft einen günstigen Nährboden dafür. Es gibt genügend verirrte Seelen, die sich mit Bluttaten ein Denkmal errichten wollen. Oder sich die Anonymität des Mobs zu Nutze machen, um Polizisten, Ausländer, Gutmenschen oder ganz einfach Herrn und Frau Normalo „mal so richtig eins auf die Fresse zu geben“.
Man muss zur Beweisführung nicht die Ermordung der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox heranziehen, auch wenn sie sich dafür eignet. Ronald Reagan, der Papst, Wolfgang Schäuble oder Monica Seles wurden auch Opfer von Tätern mit psychischen Problemen, und diese hatten alle noch keinen Facebook-Account.
Applaus gibt es inzwischen immer
Neu aber ist, dass sich im unendlich grossen virtuellen Ressonanzkörper immer eine Fangemeinde findet. Sei das gedanklich Erbrochene noch so grauslig – der Applaus ist einem sicher. Das animiert in der Politik zu Tabubrüchen. Denn ist die Schlagzeile erst einmal verbreitet, lässt sich ja immer noch zurückrudern, relativieren, man sei missverstanden worden, habe es doch gar nicht so gemeint.
Schuld an dieser Entwicklung sei einzig das Dogma der politischen Korrektheit, die zu einer Tabuisierung, zum Wegducken geführt habe, entgegen an dieser Stelle gerne jene, die sich auf das Zündeln spezialisiert haben. Bis zum Vorwurf der Lügenpresse ist es da nicht mehr weit; und auch nicht zur entschuldigenden Deutung, brennende Flüchtlingsheime seien eben die Folge von Staatsversagen.
Nun geht es aber gerade nicht um dümmliche Negerwitze und auch nicht um berechtigte Kritik an einer Migrationspolitik. Sondern um das „Disliken“ dessen, was auch im digitalen Zeitalter nicht verbreitet gehört. Die Gedanken sind frei; beim Sprechen und „Posten“ aber gibt es Grenzen.
Wir haben die Geister gerufen. Liegt uns etwas an der Demokratie, sollten wir ihnen besser Herr werden.
Erstmals in der Sonntagszeitung vom 26.6.2016 erschienen.
Super geschichten! Mein sohn ist sofort eingeschlafen, obwohl er bei unseren büchern immer länger brauch.lg und bitte um mehr geschichten ; )
Ich hoffe nur, dass er nicht böse Träume hat deswegen;-)