Die Arbeit des Presserates ist ein Teil des Qualitätsmanagements in der Schweizer Medienlandschaft. Er stellt als unabhängige medienethische Beschwerdeinstanz für Nutzerinnen und Nutzer sicher, dass Verletzungen des Journalistenkodex gerügt werden können. Im Zeitalter erodierender Glaubwürdigkeit im Journalismus ist das auch unternehmerisch sinnvoll.
Wir leben in einer Zeit der medialen und kommunikativen Verwirrung. In den USA reichen inzwischen 140 Zeichen des Präsidenten, um Aktienkurse namhafter Unternehmen in die Tiefe und den Blutdruck befreundeter Regierungschefs in die Höhe zu treiben. Wahr ist, was behauptet wird – nicht, was faktisch und sachlich nachvollziehbar ist. Meinungen werden von sozialen Bots manipuliert, wir bewegen uns in Filterblasen und merken es nicht einmal mehr.
Diese Gemengelage stimmt düster, aber nichts ist hoffnungslos. Denn solange Menschen vernunftbegabt bleiben, und dagegen spricht evolutionsbiologisch wenig, werden sich Ratio und gesunder Menschenverstand gegen Infantilisierung und Verarmung im digitalen Kommunikationsstrom behaupten.
Es braucht mehr, nicht weniger Journalismus
Und genau hier liegt auch die Existenzberechtigung eines wertegeleiteten Journalismus. Jenes Berufes, der in kritischer Distanz dem Verborgenen und Unklaren auf den Grund geht. Der sich um die faktische und sachlich korrekte Einordnung von Geschehnissen kümmert. Der befähigt ist und befähigt, insbesondere für das Funktionieren der Demokratie unabdingbare Meinungsbildung zu bewirken. Und der zwischen relevant und irrelevant zu unterscheiden weiss. Journalistinnen und Journalisten, ganz egal, ob festangestellt, freischaffend oder selbstständig, sind in diesen Zeiten mehr denn je gefordert, weil sie mehr denn je gebraucht werden.
Was sich also vordergründig als Schwäche, ja gar als Krise erweist – der strukturbedingte «Niedergang» des traditionellen Mediensystems im digitalen Zeitalter – entpuppt sich bei genauerer Analyse womöglich als Chance für eine Wiedergeburt des Journalismus unter neuen Vorzeichen: Denn «overnewsed but underinformed» wird zur Chiffre des Dilemmas jedes aufgeklärten Medienkonsumenten. Wem eigentlich kann ich noch vertrauen? Meine Antwort lautet seit Jahren immer gleich: Jenen, die ihrem Handwerk seriös nachgehen und sich an berufsethischen Grundsätzen orientieren, ungeachtet aller ökonomischen, politischen oder sozialen Pressionen, denen sie möglicherweise bei ihrer Tätigkeit ausgesetzt sind.
Bezahlt wird für Glaubwürdigkeit
Das fasst der viel zu oft bemühte und nicht selten missbrauchte Begriff «journalistische Qualität» zusammen. Es ist das Bekenntnis eines sonst kaum zertifizierten Berufsstandes, die eigenen Prinzipien und Verhaltensweisen in aller Konsequenz hochzuhalten und zu verteidigen. Nicht einfach aus moralischer Erhabenheit, sondern weil der berufliche Kodex kardinal ist für die eigene Glaubwürdigkeit und damit für die ökonomische Fundierung jeder journalistischen Tätigkeit.
Denn wenn es eine betriebswirtschaftliche Logik in diesem Geschäft gibt, dann ist es die der Glaubwürdigkeit und der Unabhängigkeit des Journalismus. Erodiert beides, erodiert im Nutzer- wie im Werbemarkt die Bereitschaft, für journalistische Leistungen zu bezahlen; ob in Form von Aufmerksamkeit, Geld, Bindung oder Empfehlung spielt keine Rolle.
Und genau darum ist der Presserat so wichtig! Einst von einer Standesorganisation gegründet und heute als sozialpartnerschaftlich getragene Institution etabliert, überwacht er nicht nur die Einhaltung der ethischen und rechtlichen Prinzipien im hiesigen Journalismus, sondern er beurteilt und rügt gegebenenfalls auch deren Verletzung. Der Presserat ist der branchenweit akzeptierte Garant für die Glaubwürdigkeit journalistischer Arbeit in diesem Land – weil er unabhängig von einzelnen Akteuren im Markt agiert. Das ist weder für Kläger noch Beklagte immer angenehm. Aber es ist aussergerichtlich die einzige Form, im Streitfall unter Beachtung berufspraktischer Aspekte eine der Sache angemessene und faire Beurteilung vorzunehmen, weil sich die aus journalistischen Experten und Publikumsvertretern zusammengesetzten drei Kammern des Presserates immer auf den von der Branche selbst erlassenen Pressekodex als normatives Regelwerk abstützen können.
Unabhängigkeit und breite Akzeptanz
Seine Funktion kann der Presserat aber nur glaubwürdig wahrnehmen, wenn er ein Höchstmass an Unabhängigkeit besitzt, unbestechlich seine Arbeit tun kann und von der Branche und ihren Vertretern als Referenz wahrgenommen und getragen wird. Das bedingt einerseits die Unterstützung aller im Medienbereich tätigen Akteure, sei es bei der Akzeptanz seiner Stellungnahmen, deren Publikation in den eigenen Medien und der Bereitschaft von Führungsverantwortlichen und Medienschaffenden, Empfehlungen durch entsprechende Prozessanpassungen und Verhaltensänderungen nachhaltig Rechnung zu tragen.
Es bedingt andererseits eine solide Finanzierung angesichts eines ständig wachsenden Bedarfs aussergerichtlicher Streitschlichtung und immer zahlreicherer und komplexerer Fälle. Der Presserat ist seit längerem notorisch unterfinanziert und lebt von der Substanz. Das gefährdet mittel- bis längerfristig seine Existenz, auf Kosten nicht nur der Träger, sondern auch der ganzen Branche. Auf dem Spiel steht die Glaubwürdigkeit, für guten Journalismus einzustehen – einen Journalismus, der wertschöpfend sein soll und sein muss, will er überleben.
Keine Marketingaktion, kein Qualitätsmanagement, keine Ausbildung kommt auf Dauer günstiger als die weitgehend ehrenamtliche Arbeit des Presserates bei der Verteidigung und Durchsetzung der eigenen Standesregeln. Der Presserat ist kein Gericht, was ihn auszeichnet und aufwertet. Er ist eine Beurteilungsinstanz in einem Metier, in dem eben nicht alles nur nach juristischen Gesichtspunkten entschieden werden kann. Er ist der Garant für die Glaubwürdigkeit des Schweizer Journalismus.