Das Land debattiert aufgeregt: Soll die Burka verboten werden? Von rechts bis links mehren sich Stimmen, die das fordern. Die Argumente sind disparat, meist auch widersprüchlich – aber das stört irgendwie niemanden. Es ist ein Musterbeispiel, wie Symbolpolitik funktioniert.
Sind Sie schon einmal einer Burka begegnet? Oder dem Nikab? Hier in der Schweiz? Auf offener Strasse? Beim Wandern im Schächental, in der Migros an der Kasse, im Stau auf der A 2?
Der Anblick ist rar, die Ganzkörperverhüllung nicht wirklich en vogue bei den hier lebenden Musliminnen. Nun gibt es aber auch einige Touristinnen. Und ja, diese sind zum Teil verhüllt. Sie reisen zumeist aus Saudiarabien an, denn afghanische Burkaträgerinnen können sich noch keine Shoppingtrips an die Zürcher Bahnhofstrasse oder an der Rue du Rhône in Genf leisten.
Mehr Hundebisse denn je
Damit soll nun Schluss sein; auf nationaler Ebene wird über ein Burkaverbot diskutiert, das nach Wunsch der Initianten von «Ja zum Verhüllungsverbot» in die Verfassung geschrieben werden soll. Die Unterschriftensammlung läuft noch, doch die Grosswetterlage ist günstig.
Das erinnert an die Kampfhund-Kampagne, die mit einem Todesfall ihren Anfang nahm und in einer Flut disparater Gesetze endete. Heute gibt es in der Schweiz weniger Kampfhunde als damals, freilich mehr Hundebisse.
Durch eine Burka ist in der Schweiz noch niemand ums Leben gekommen, die Debatte aber wird so geführt, als sei dies der Fall. Als hätte dieses Land keine anderen Sorgen. Aber das Thema ist süffig, weil das Kleidungsstück so ziemlich alle negativen Gefühle dieser Tage bündelt: Unterdrückung der Frau, radikaler Islam, Terrorismus, Ablehnung unseres Wertesystems. Dabei gibt es nur einen nachvollziehbaren Grund, das Tragen der Burka oder des Nikab generell verbieten zu wollen: «Es passt uns einfach nicht.»
Kommunikation darf man verweigern
Tut es auch mir nicht. Aber es passt mir und wohl auch Ihnen so einiges nicht, oder? Ich finde etwa oben ohne von Männern mit Bierbäuchen unbefriedigend, fühle mich durch funktionswäschetragende E-Biker im Morgenverkehr mehr bedroht als durch arabische Gäste und finde es seltsam, dass gewisse Menschen Tattoos oder Piercing immer noch mit Proletentum, Hooliganismus und Gewalt verbinden.
Trotzdem möchte ich nicht, dass der Staat hier flächendeckend eingreift und vorschreibt, was zu sein hat und was nicht. Darum bin ich gegen ein Verbot eines spezifischen Kleidungsstils, egal auf welcher Stufe es erlassen wird. Es ist reine Symbolpolitik. Weder erhöht es die nationale Sicherheit, zumal die Verbindung zum Terroristen eine rein hypothetische ist, noch hilft es der Emanzipation der Frau in der arabischen Welt.
Sehr wohl aber schränkt es eine Errungenschaft der Aufklärung ein: die Freiheit des mündigen Einzelnen, sich zu kleiden, wie er oder sie will; ein Aussenseiter zu sein, eine Minderheit zu bilden; ja sich sogar in der Öffentlichkeit die Kommunikation zu verweigern – solange das die Freiheit und Sicherheit des anderen nicht bedroht. Was Burka oder Nikab nicht tun.
Auf Zwangsscheidung pochen
Wer allerdings umgekehrt meint, die Ganzkörperverschleierung mit Verweis auf die Religionsfreiheit verteidigen zu müssen, irrt. Weder Burka noch Nikab sind zuvorderst Ausdruck von Glauben, sondern von Traditionen, kultureller Prägung, sozialem Status der Frau und patriarchalen Stammesstrukturen. Wollen wir im eigenen Land unsere Wertvorstellungen glaubhaft durchsetzen, müssten wir also nicht nur die Burka verbieten, sondern in einigen Fällen auch auf eine Zwangsscheidung pochen.
Schreiben wir das auch noch in die Verfassung? Wegen einer Handvoll Touristinnen aus dem Orient?
Erstmals erschienen in der Sonntagszeitung vom 28.8.2016.
Lieber Markus Spillmann
Ich bin auch einer von denen, die bezüglich persönlicher Meinung über das Burka-Verbot auf der Kippe steht. Trotz deinem sehr liberalen Artikel neige ich zu einem Verbot, weil es nicht sein kann dass die ultra orthodoxen Moslem unser Wertesystem radikal ablehnen und von uns die endlose Toleranz erwarten.
Ich war oft mit Besatzungen in Saudiarabien. Da mussten sich die Flight Attendants verschleiern, durften weder Tennisspielen noch schwimmen im Pool. Und das in einem Hotel, das gegen aussen abgeschirmt war.
Intoleranter gehts nicht mehr gegenüber Fremden .
Ich denke, du greifst zu kurz wenn du den Sicherheitsaspekt in den Vordergrund stellst.
Mit besten Grüssen
Silvio Roth
Lieber Silvio Roth
Endlos ist unsere Toleranz zum Glück nicht; es gibt zig Gesetze, die das Zusammenleben regeln. Die Frage ist, ob ein neues Zusätzliches auch etwas bringt oder nicht. Ich zweifle, habe auch kein Argument gehört, dass mich davon überzeugen würde. In der Tat aber ist es legitim zu sagen, es passt mir nicht. Und wenn das eine Mehrheit sagt und dies demokratischen Spielregeln gehorcht, ist es zu akzeptieren (wobei auch das, wie die Geschichte zeigt, böse ins Auge gehen kann). Trotzdem muss man eine Position einnehmen – und zwar auch dann, wenn es unangenehm ist. Der Verweis auf Saudiarabien allerdings ist für mich gerade eines, nicht Ja zu sagen zu einem Verbot: Denn was uns im Positiven unterscheidet, ist, dass wir keine Angst haben, dass wir aufgeklärte Demokratien sind, dass wir individuelle Werte höher gewichten als religiöser, sozialer oder kultureller Zwang des Kollektivs. Das hat durchaus auch seine Schattenseiten; aber mit diesen umzugehen finde ich allemal erstrebenswerter als eine Verbots- und Gebotskultur auszuweiten, die viel zu oft die absolute Ausnahme anpeilt, leider aber den Normalzustand verregelt. Ich wäre da etwas gelassener. Anschläge haben in Europa Männer in Hosen und mit Gesichtern verübt. Verbieten wir nun Hosen, Bärte oder Männer? Nein, tun wir nicht – was das Sicherheitsargument ins Leere laufen lässt. Bleiben wir doch dabei: Burkas passen nicht zu unserem Lebensstil. Nun kann man alles, was nicht passt, verbieten. Oder aber man hält kurz inne, holt tief Luft und fragt sich kurz: Wie gross ist effektiv dieses eine Problem? Bei der Burka ist es klein. Winzig klein. Das kann sich irgendwann ändern. Aber auf Vorrat zu verbieten ist mir zuwider. Und es widerspricht meinem liberalen Verständnis.
Besten Dank, mit freundlichem Gruss, Markus Spillmann
Ich bin der klaren Überzeugung, dass gar nicht von einem Verbot der „Burka“ oder ähnlichen Verhüllungstechniken … gesprochen werden muss oder sollte, sondern NUR von einem -Verhüllungsverbot- !
Ich begreife, dass Muslime und Musliminnen sich nicht mit einem VERBOT etwas „nehmen“ lassen, das sie sich einfach ohne lange nach zu denken, bisher zuhause – dort wo sie herkommen oder herkamen – einfach als halt geboten und normale empfinden und empfunden haben/hatten!
ABER: Hier bei uns in der Schweiz ist das halt einfach anders. Sicher eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer stossen sich mehr oder weniger daran, dass Muslime und Musliminnen, erst gar nicht Islamistinnen und Islamisten, sich nicht darauf einlassen, dass WIR halt eben hier dieses Vermummen nicht anständig, resp. sogar stossend finden. Eine Verhöhnung unserer Sitten letztlich, wenn man weiss, dass „wir“ uns, eine Mehrheit sicher, daran stossen wenn NUR für die Augen ein Schlitz sichtbar sind und der Rest der Person völlig unter weiten Gewändern, meist tief-schwarz, also Drohgebärde auch für mich, nicht identifizierbar ist!
UND DAS ist der Punkt, wo die Sache gefühlsmässig – auch ich – auf harte Ablehnung stösst!
Das hat aber auch gar nichts mit religiösem Denken zu tun, sondern einfach mit den Gefühlen, die WIR HIER eben halt so haben! UND WIR sind hier zuhause und deshalb wollen auch WIR sagen, was Recht und Unrecht ist – HIER IN DER SCHWEIZ!
Im Tessin hat ja das Volk abgestimmt und klar NEIN gesagt zum Burkaverbot!
Hier bei uns in Bern und sicher auch in den meisten anderen Kantonen, würde bei einer Abstimmung über ein Burka- UND Vermummungsverbot
wohl auch eine Zustimmung dafür erfolgen. Das wissen die Verhaltensforscher in Sachen Abstimmungen wohl sehr genau!
Also bitte, lancieren wir endlich diese Abstimmung, dann ist endlich ein sauberer Tisch vorhanden und nicht das ewige Geplapper von Toleranz und so.
Für Volksgruppen, die sich vermummen müssen, bezeichnenderweise nur die Frauen, die müssen halt umdenken, wenn sie hier wirklich sich integrieren/assimilieren wollen oder müssen!
Toleranz ist,
in dieser Sache,
etwas,
was halt nicht gilt
und was wir selbst bestimmen wollen – weiterhin!
Ich bin gespannt, was Sie alle dazu zu sagen haben!
Klar, es müsste heissen:
„… Im Tessin hat ja das Volk abgestimmt und klar JA gesagt zum Burkaverbot! „