Der Terrorismus ist wie eine Krake; schlägt man ein Glied ab, wächst gleich ein neues nach. Wir werden noch lange mit dieser Bedrohung leben müssen. Damit umgehen zu lernen heisst auch, den Tätern keine Bühne mehr zu bieten für ihre todbringende Inszenierung.
Diesmal traf es Nizza. Der Täter hatte sich als Waffe einen Lastwagen geborgt. Sein Ziel war die Menge. Es regierte einmal mehr der grausame Zufall, wer eine solche Terrorattacke überlebt und wer nicht. So war es vor wenigen Wochen auch in Istanbul, beim Check-in im Flughafen Atatürk, oder wenige Tage danach in Bagdad in einem Einkaufsviertel im Stadtteil Karrada.
Das Spektakel ist das Ziel
Beide Anschläge sind bereits vergessen; Nizza aber geht uns näher, vielleicht auch, weil wir selbst schon auf der Uferpromenade flaniert sind. Weil der Ort Jetset-Gefühle weckt – weisse Jachten, blaues Meer. Bagdad dagegen ist weit weg, seit Jahren ein Kriegsgebiet. Und Istanbul liegt in der Türkei, die von einem Präsidenten autokratisch regiert wird, dem viele eine Mitschuld an der Gewalteskalation zuschreiben.
Die Logik des Terrors aber ist an allen drei Orten die gleiche: Es geht um die wahllose, wenn auch sehr bewusst geplante Ermordung möglichst vieler Menschen. Das Spektakel ist das Ziel, der Anschlag nur das Instrument. Terror will Angst erzeugen, aber auch Chaos und Gegenreaktion provozieren. Ob die Täter im IS organisiert sind oder aber als «lonely wolfs» mit Migrationshintergrund der dekadenten Gesellschaft ihren sozialen Frust und ihre wirtschaftliche Misere heimzahlen: Sie gieren nach unserer Aufmerksamkeit.
Politische Symbolik
Und sie sind erfolgreich damit – und wir daran nicht unschuldig. Präsident Hollande hat nur Stunden nach dem Anschlag seine Ankündigung zurückgenommen, den nach den Anschlägen von Paris verhängten Ausnahmezustand aufzuheben. Das ist primär politische Symbolik, weil der Sozialist zu Recht befürchten muss, dass der Front National im kommenden Jahr seine Präsidentschaft erben könnte. Das Land aber machen die Sondergesetze nicht sicherer – höchstens unfreier. Und es hilft den Mörderbanden: Ihnen dient Freiheitseinschränkung, ihnen dient der Aufstieg der radikalen Rechten, ihnen dient eine Verhärtung der Migrationspolitik. Weil es sie bei ihrer Kundschaft glaubwürdiger macht im Kampf gegen die angebliche Repression, die Dekadenz, die Unterdrückung, die Ungläubigkeit des Westens.
Es ist menschlich, dass wir den Terror immer dann ausblenden, wenn er nicht gerade vor unserer Haustür zuschlägt, uns nicht direkt trifft. Falsch aber ist es, ihm immer dann die grosse Bühne zu geben, wenn er naherückt.
Macht der Kommunikation
Geben wir den Tätern doch generell keine Namen mehr, nummerieren wir sie! Hören wir auf mit der Live-Berichterstattung, deren Neuigkeitswert gegen null tendiert und nur den Voyeurismus bedient! Halten wir mit der Kamera nicht mehr den Schrecken fest, sondern Trost, Trotz und Standfestigkeit! Helfen wir den Opfern und stehen wir ihren Angehörigen bei, aber in stiller Anteilnahme! Überhöhen wir die Taten nicht zum Krieg, sondern entlarven die Täter als gedungene Mörder! Entreissen wir den Terroristen jene Waffe, die ihre tödlichste ist: die Macht der Kommunikation!
Es bräuchte dazu nicht arg viel: einen Retweet weniger, statt inflationär immer mehr vom Gleichen. Einen Kodex der Medien, die Berichterstattung auf das absolut Notwendigste zu beschränken – wie es bei Selbstmördern schon lange Usus ist. Und eine Gesellschaft, die sich der Risiken ihrer Freiheit bewusst ist, diese aber partout nicht preisgibt für den Wahnsinn einiger weniger.
Erstmals veröffentlicht in der Sonntagszeitung am 17.7.2016
Ja, richtig. Und mehr Zurückhaltung (auch von Politikerseite) mit sofortigen Zuschreibungen an IS etc., bevor eine solide Evidenz vorliegt. Mahlt nur auf ihre Mühle. Breivik, der Nizza-Tunesier: Es sind zuallerst mal monströse Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Alles andere (ob lonely wolf, diffuser Anhänger oder konkret im Dienst) muss die anschliessende Investigation verifizieren.
Nach einer besonders scheusslichen Tat in Kabul beschloss die sehr diverse afghanische Medienszene unisono einen wochenlangen Boykott jeglicher Berichterstattung über (Un)taten von non-state armed actors. Es war nicht im Interesse letzterer.