Der türkische Präsident Erdogan mag keine kritische Medien. Damit ist er nicht allein. Auch nicht in Europa. Denn auch in Polen oder in Ungarn ist es mit der Medienfreiheit nicht mehr gut bestellt. Europa weiss das. Und zeigt sich ratlos im Umgang mit autoritären Politikern. Meine Gedanken dazu, erstmals publiziert in der Sonntagszeitung.
Dr. Sadik Ahmet Cad. No:8 Balgat. Der deutsche Botschafter wird die Adresse in Ankara inzwischen auswendig kennen. Der uncharmante Verwaltungsbau beherbergt das Aussenministerium der Türkei. Und dort werden dieser Tage Botschaftern «befreundeter» Länder gerne einmal Rügen erteilt. Mindestens zweimal war der Vertreter Berlins in den letzten Wochen schon dort. «Einbestellen» heisst das im diplomatischen Jargon, etwas volkstümlicher «abwatschen».
Wer recherchiert, lebt gefährlich
Zuletzt war es eine vom Norddeutschen Rundfunk ausgestrahlte Satire, die den Zorn Ankaras erregte. Im Kern aber echauffiert die türkische Regierung, dass nach Bürgerrechtsorganisationen und Berufsverbänden nun auch westliche Diplomaten die drastische Einschränkung der Medienfreiheit am Bosporus kritisieren. Mehr als ein Dutzend Journalisten sitzen bereits in Haft, anderen droht sie, wie dem Chefredaktor der oppositionellen Zeitung «Cumhuriyet», Can Dündar.
Wegen angeblicher Spionage, Terrorismusbeteiligung und Staatsverrat wird ihm und dem Leiter des Hauptstadtbüros dieser Tage in Istanbul der Prozess gemacht. Den beiden Männern drohen lebenslange Strafen. Dündars «Verbrechen»: Er und seine Zeitung recherchierten – und deckten unter anderem auf, dass der türkische Geheimdienst syrische Extremisten mit Waffen beliefert.
Hinter schusssicheren Vorhängen
Als ich Dündar das letzte Mal getroffen habe, sass er in seinem Büro hinter schusssicheren Vorhängen, rührte in seinem Tee und lächelte freundlich. Der Mann ist seit längerem im Visier nicht nur der Justiz, sondern auch von Kräften, die für Rechtsstaatlichkeit nichts, für Gewalt sehr viel übrig haben. Mehrere Mitarbeiter allein seiner Zeitung wurden umgebracht, viele mehr bedroht. Seinen Willen, dem autoritären Gehabe Präsident Erdogans zu trotzen, der auch persönlich mit einer Flut von Klagen gegen missliebige Journalisten vorgeht, hat dies keinen Abbruch getan.
Nun ist Recep Tayyip Erdogan bekannt dafür, dünnhäutig zu sein – mit einem ausgeprägten Hang zu Prunk, Protz und neo-osmanischem Kitsch. Diese Wortwahl dürfte nun in der Türkei bereits als Majestätsbeleidigung qualifiziert werden, denn auch nur der Hauch einer kritischen Würdigung des präsidialen Gehabes ist neben dem Terrorismus-Vorwurf eine der häufigsten Klagegründe. Nun ist aber etwa ein 1000-Zimmer-Palast, der laut Urteil des obersten Verwaltungsgerichts auch noch illegal erstellt worden ist, beim besten Willen keine Gartenlaube, sondern in Beton gegossene Grossmannssucht und Verschwendung.
Ohne Schiedsrichter wird munter weiter gefoult
Erdogan in der Türkei, Wladimir Putin in Russland, Viktor Orban in Ungarn und nun auch Jaroslaw Kaczynski in Polen; sie alle teilen den Wesenszug autoritärer Politiker, die sich gewiss nicht mehr als gewählte Diener ihres Staates sehen. Es ist gerade umgekehrt: «L’Etat, c’est moi.» Und entsprechend allergisch reagieren sie auf Kritik an ihrer Selbstüberhöhung.
Verfolgt werden zunächst Oppositionelle und kritische Journalisten; den wahren Kampf aber führen diese Männer gegen die eigenen Bürger, denen sie offensichtlich nicht zutrauen, sich selbst ein Bild zu machen, was, woran und vor allem auch wem sie glauben sollen. Die einzige Wahrheit, die zählt, ist die ihrige – Blendung durch Verblendete.
Pikant daran ist, dass Polen und Ungarn und mit einigen Einschränkungen auch die Türkei demokratisch verfasste Rechtsstaaten und zwei von drei vollwertige Mitglieder der Europäischen Union sind – und die Türkei gerne in diese eintreten möchte. Somit würden eigentlich für alle die gleichen demokratischen Spielregeln gelten – Meinungsfreiheit, Bürgerrechte, Gewaltenteilung. Ein Schiedsrichter jedoch ist weit und breit nicht in Sicht, der diese durchsetzen könnte.
Wen wundert es da, wenn weiter munter gefoult wird?