Elon Musk will den Mars kolonisieren. Schon in wenigen Jahren. Das Leben auf dem roten Planeten wäre entbehrungsreich. Der Hinflug dauert ewig. Das Projekt scheint utopisch. Und entsprechend hagelt es Buh und Schmäh. Zu Unrecht, finden wir.
Wann eigentlich hat die Menschheit das letzte Mal wieder etwas Weltbewegendes zustande gebracht? Etwas, das uns Erdenbewohner gleichermassen in Bann zog, uns für einige Augenblicke fesselte, vor die Bildschirme lockte und in diese ganz spezielle Euphorie versetzte, Zeuge eines epochalen Ereignisses zu sein?
Nicht die Heiligsprechung Mutter Teresas
Denken Sie jetzt bitte nicht an die Fussball-WM oder die Olympischen Sommerspiele in Rio, auch nicht an die Geburt irgendeines Blaublüters oder die Heiligsprechung Mutter Teresas durch den Papst. Ich spreche von einem Ereignis in der Dimension der Mondlandung von 1969.
Ich weiss: Die damals geschätzt 500 Millionen Zuschauer weltweit, die in der Lage waren, live die ersten Hüpfer Neil Armstrongs auf dem Erdtrabanten mitzuverfolgen, sind ein Klacks angesichts des Hypes, den Apple jeweils beim Verkaufsstart eines seiner iPhones auslöst. Oder der Erregung über «Pokémon Go», «Game of Thrones» oder das Gangnam-Style-Video, das bisher weit über 2 Milliarden Zugriffe auf Youtube generierte.
Kultstatus für Miss Uhura
Immerhin: Der Stratosphären-Sprung des Red-Bull-Extremsportlers Felix Baumgartner liess 2012 noch einmal die Aura der Siebzigerjahre mit Bruno Stanek und seiner Sendung «Neues aus dem Weltall» aufleben. Und Miss Uhura geniesst immer noch Kultstatus.
Aber die Welle macht heute trotzdem niemand mehr, wenn Elon Musk von der Besiedlung des Mars spricht. Im Gegenteil: Die Pläne des SpaceX- und Tesla-Unternehmers, in schon wenigen Jahren mit Riesenraketen Hunderttausende von Menschen zum roten Planeten zu fliegen, wurden noch während der Präsentation an einem Weltraumkongress von Ende September als lächerlich und utopisch zerrissen. Ähnliches widerfuhr einst auch den Apologeten des Mond-Programms. Am Ende war man sechsmal dort.
Nun aber dominiert das Kriterium der Nützlichkeit, auch bei der Forschung. Der Fokus liegt in der Nanotechnologie, in der Digitalisierung, in der Verbesserung des menschlichen Daseins im Hier und Heute. Und wahrlich, da gibt es viel zu tun.
Die Ernüchterung, dass der Mond zwar angeflogen werden kann, es dort jedoch nur kahl und saumässig kalt ist, setzte dagegen schon mit Apollo 12 ein. Das ganze Projekt war am Ende ein Wettstreit zwischen den Systemkonkurrenten USA und Sowjetunion während des Kalten Krieges, bei dem es der «freien Welt» nach dem Sputnik-Schock gelang, sich die technologische Vorherrschaft mindestens im All zu sichern. Nach dem Triumph der Amerikaner schwand das Interesse blitzartig. Es stört niemanden gross, dass die USA heute für die bemannte Raumfahrt auf Russland angewiesen sind. Pragmatismus halt.
Teflon verdanken wir der Rüstungsindustrie
Armstrongs «One small step for man, one giant leap for mankind» hat sich verewigt, sich aber leider nicht bewahrheitet. Die Menschheit wäre auch ohne Mondlandung weitergekommen. Ein mittelprächtiges Handy kann heute mehr als die Nasa-Computer von damals. Teflon ist kein Nebenprodukt der Raumfahrt, sondern eines der Rüstungsindustrie. Und Fertiggerichte aus der Tube sind nicht wirklich eine kulinarische Errungenschaft.
So gesehen wäre der Flug zum Mars ein Abenteuer, aber vermutlich keines, das unmittelbar einen Nutzen stiften wird. Weil auch dieser Planet kahl und kalt ist, wenn auch etwas weniger kalt als der Mond. Es lebt sich als Mensch einfach nicht besonders angenehm in einem solchen Klima.
Musk ficht das alles nicht an. Irgendwie sympathisch.
Erstmals erschienen in der Sonntagszeitung vom 9. Oktober 2016.