Wer einen Tannenbaum zu Weihnachten hatte – einen echten, also mit Nadeln -, der weiss, dass dessen Entsorgung nicht ohne Tücken ist. Einfach rausstellen geht an den wenigsten Orten. Wir Schweizer nennen uns Weltmeister im Recycling; wir sind es vor allem einmal in der Detaillierung, was man wie zu entsorgen hat. Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum…; meine Gedanken dazu, erstmals veröffentlich in der Sonntagszeitung.
Weihnachten ist längst vorbei, höchste Zeit also, die Nadelmonster zu entsorgen. Nur wie? Die Innerschweizer nehmen es locker: Der Baum wird rausgestellt, mitgenommen, geschreddert und kompostiert. Basel verbrennt ihn, aber nur bis 2 Meter Höhe, und für Äste und Adventskranz braucht es einen Bebbi-Sack. Bern nimmt die Pracht mit zum Häckseln, aber ja nicht verschnürt, das ist verboten. Im zwinglianischen Zürich wiederum muss der Baum auf 1 Meter 50 gekürzt und zusammengebunden werden – und kompostiert wird auch nicht, „da er mit Resten von Kerzenwachs, Lametta und anderen Fremdstoffen verschmutzt sein könnte.“
Ist der Amarone jetzt „grün“ oder „braun“?
Wir sind Meister der föderalen Vielfalt und Detaillierung. Auch beim Recycling. Altpapier wird in Zürich nur mitgenommen, wenn es Kante auf Kante in Stapeln gebündelt und übers Rechteck verschnürt ist. Der Karton muss gefaltet werden und darf auch nicht in Säcken schon am Vortag draussen stehen. Wir scheppern mit unseren leeren Wein- und Biefflaschen durchs halbe Quartier, um beim Amarone vor den Tonnen „grün“ und „braun“ länger zu rätseln. Für die Pet-Flaschen geht’s weiter zu Denner, Coop oder Migros; wenigstens scheppert das nicht.
Ich bin dieser Tage durch die Strassen Kreuzbergs flaniert. Die Berliner stellen die Bäume schlicht auf die Strasse. Gross und klein, dicht und licht. Aber auch das Papier oder der Karton wird pragmatisch entsorgt; man schmeisst beides einfach in die Tonne.
Dort sieht man einiges entspannter, wie in vielen anderen Städten dieser Welt auch. Sie mögen etwas schmuddeliger sein. Aber entsorgt wird der Abfall auch – einfach weniger perfekt, dafür praktisch. Das gereicht übrigens zumindest in Deutschland oder auch in Österreich nicht zum Nachteil der Umwelt. In beiden Ländern wird mehr Siedlungsabfall recycliert als in der Schweiz. Und wir produzieren europaweit immer noch am meisten Abfall pro Kopf.
Wanted: Augenmass!
Unser zur Kunstform entwickelte Umgang mit Müll ist zwar nur eine Petitesse, aber eben eine, die als Chiffre passt für das, was uns hierzulande schleichend abhandenkommt: Augenmass.
Korrektheit ist ja eine feine Tugend, aber wenn es umschlägt ins Bünzlige, ins Dogmatische und in fromme Paragraphengläubigkeit, dann führt das zu Verbissenheit und gesellschaftlicher Verbiesterung. Logisch bleibt so vieles klein, wenn nur Perfektion als etwas ganz Grosses gilt – und nicht umgekehrt Grosses als Perfektion. „Willst Du Dich am Ganzen erquicken, musst Du das Ganze im Kleinsten erblicken“ – das stammt von Goethe und es ist wahr!
Eigentlich hat die Schweiz anderes zu bieten als solchen Kleingeist. Mehr als das giftelnde Einzäunen des eigenen Gärtchens und misstrauische Beäugen des nicht korrekt zusammengebündelten Altpapiers des Nachbarns. Wohlhabend wurden wir jedenfalls mit anderem: Mit Mut, Tatendrang und Kreativität – und mit Pragmatismus.
Ein Hoch auf den Visionär
So wäre doch ein guter, noch nicht zu später Vorsatz für 2016: Weniger Normierung, mehr Freiräume – und wieder mehr Gelassenheit, diese auch anderen zu gönnen. Denn wer kein Visionär ist, träumt keine Utopien, wer keine Utopien träumt, schmiedet keine Pläne, wer nichts schmiedet, spürt nie die Hitze des Feuers.
A propos Hitze: In Seedorf im Berner Seeland werden Tannenbäume bereits am 3. Januar nach Vorbild des 1.-August-Feuers gemeinschaftlich verbrannt. Zu gratis Glühwein, Tee, Wurst und Brot. Höchst unökologisch. Andernorts verboten. Sehr sympathisch!