Bald ist Weihnachten. Zeit, an Geschenke zu denken. Es gilt, den Nächsten Freude zu bereiten. Der uns allernächste allerdings sind wir selbst. Was Schenken etwas relativiert.
Schenken bereitet Freude – heisst es. Fragt sich nur, für wen. Bob Dylan tat sich bekanntlich etwas schwer, die seinige zu zeigen, als er als Erster seiner Zunft mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Sein langes Schweigen, ob er das Geschenk annehmen wolle, wurde ihm postwendend als unhöflich und arrogant ausgelegt.
«Sag schön Danke!» bläuen wir unseren Kindern schon früh im Leben ein. Vielleicht hat der singende Lyriker diese Benimmstunde geschwänzt, oder aber er fand zunächst schlicht nicht die richtigen Worte, zu verdanken, was er vielleicht gar nicht wünschte, je zu erhalten.
Abhängigkeiten bewirtschaften
Schenken ist bestens erforscht, kulturgeschichtlich, soziologisch, psychologisch, verhaltensökonomisch. Einig scheint man sich, dass es meist weniger um das Glück dessen geht, der beschenkt wird, als vielmehr um das des Schenkenden. Denn wer schenkt, will auch sich selbst einen Gefallen tun, sei es, weil es einzahlt auf das eigene Wohlbefinden, weil es der Reputation dient, grosszügig zu erscheinen, weil es Macht demonstriert, es Abhängigkeiten bewirtschaftet, Bindung festigt oder künftiges Verhalten konditioniert.
Wer je eine Hochzeitsfeier in Indien miterlebt hat, weiss um die Opulenz der Feste und die für die Brauteltern nicht selten ruinöse Ausgestaltung der Mitgift, die dem Bräutigam und dessen Familie zusteht. Es ist Ausdruck einer bis heute in ganz Südasien immer noch dominierenden Geschlechtervorstellung: Männer sind mehr wert als Frauen, ihre Vermählung – ob arrangiert oder nicht – ein «Akt der Grosszügigkeit» der Gattenfamilie. Da diese Masslosigkeit genau deswegen seit Jahrzehnten gesetzlich verboten ist, wird der üppige Segen als Geschenk deklariert.
Bei den Potlatch-Festen der nordamerikanischen Indianer im 18. und 19. Jahrhundert wiederum wurden regelrechte Schenkwettbewerbe zwischen den Stämmen ausgetragen, die faktisch das materielle Ausbluten des «Gegners» zum Ziel hatten. In Kanada waren solche Orgien zeitweise ebenfalls verboten.
Das Danke besiegelt den Kontrakt
Im Grunde ist der Akt des Schenkens eine Form des informellen Vertragsschlusses: Ich gebe, du nimmst. Was im Kleingedruckten steht: Und irgendwann wiederum gibst du dann mir. «Do ut des» eben. Das «Danke» ist das Einverständnis, diesen Kontrakt über Zeit mit allen ungeschriebenen Fussnoten einzugehen. Wer weiss, vielleicht hat Dylan diese Logik blitzschnell durchschaut und den Spiess einfach umgedreht: «Das Komitee soll dankbar sein dafür, dass es mit meiner Person nobel wirken darf.»
Sollten Sie diesen Text also gerade lesen, wenn Sie in der Not des Verzweifelten irgendwo im Dickicht des nie schlafenden Konsumdschungels nach Schenkbarem jagen, denken Sie an Dylan! Wollen Sie schenken, oder wollen Sie ein Dankeschön? Und wie werden Sie reagieren, wenn dieses ausbleibt, weil die Beschenkte den Kontrakt wittert, der mit dem teuren Parfum, dem Diamantencollier, dem Malediven-Trip oder etwas profaner dem guten Wein verbunden ist? Und sind Sie überhaupt sicher, dass Sie die längerfristige Verpflichtung suchen?
Wenn Sie zögern, schenken Sie diese Weihnachten dem erwachsenen Gegenüber (keine Angst, liebe Kinder – ihr bekommt die Drohne, das Lego, die Xbox) vielleicht besser «nur» Zuneigung, Respekt und ein offenes Ohr. Ohne Erwartungen, quasi ergebnisoffen. Und summen Sie dazu leise «Blowin’ in the Wind».
Erstmals in der Sonntagszeitung vom 18. Dezember 2016 erschienen.