In Europa werden Rücktritte aus öffentlich exponierten Führungspositionen meist mit persönlichem Scheitern gleichgesetzt. Dass zum Erfolg auch immer Niederlagen gehören, ist gesellschaftlich weit weniger akzeptiert als beispielsweise in den USA. Einen etwas entspannteren Umgang mit Scheitern wäre freilich auch für Manager wünschenswert. Freiwillig zu gehen, wenn es noch freiwillig ist, zeugt von Stärke – nicht von Schwäche. Meine Gedanken dazu, erstmals publiziert in der Sonntagszeitung.
Anders als Joseph Blatter bei der FIFA zog es Lucien Favre vor, Mönchengladbad im Zustand der Aufrichtigkeit zu verlassen. Er sei nicht mehr der richtige Mann am richtigen Ort, liess er seine Vorgesetzten im letzten Herbst wissen. Der Vorstand wollte ihn umstimmen, die Mannschaft war traurig, die Fans reagierten konsterniert – Borussia freilich gewann das ersten Spiel ohne den Romand an der Seitenlinie und zum ersten Mal seit Saisonstart.
Tragisch spektakulär
Bei Martin Winterkorn dauerte es nur knapp zwei Wochen, um aus dem Gewinner des unschönen Machtkampfes mit Altvordern Ferdinand Piëch einen spektakulären Verlierer zu machen. Gestolpert ist der äusserst erfolgreiche VW-Vorstand bekanntlich über eine raffinierte Motoren-Software, eigentlich ein Beispiel für die technologische Exzellenz deutscher Autobauer. Deren Existenz jedoch hätte er als oberster Firmenchef mindestens im jährlichen Risikoassessment bemerken müssen, weil für die Markenreputation kardinal.
Rücktritte haftet etwas tragisch Spektakuläres an, weil sie Scheitern signalisieren von Menschen, denen der Ruf anhaftet, nicht zu scheitern. Wer aufsteigt, sich „abhebt“ vom Durchschnitt, hervortut und Verantwortung übernimmt, der wird nicht selten zunächst neidisch beäugt, dann kritisch begleitet. Einmal auf der obersten Etage angekommen, lockt die „Erntephase“ Speichellecker und falsche Freunde an wie die Motten das Licht. War da eben noch mediale Kritik und Beckmesserei, dominiert nun Lobhudelei.
Und dann knallt’s – entweder laut und vernehmlich oder leise und wiederholt: Managementfehler häufen sich, was bisher als lässlich galt wird plötzlich ganz wichtig, oder aber eine unternehmerische Fehlentscheidung rächt sich Jahre später. Meist sind da aber auch profane menschliche Gründe: Ein Verwaltungsrat, der in neuer Zusammensetzung zur Führungskraft das Vertrauen verliert, Selbstüberschätzung und Realitätsverlust, lange Messer und dunkle Nächte, schlechte Presse und miese Stimmung in der Belegschaft. Da braucht es gar nicht immer zwingend „den“ Fehler.
Bergab geht’s rascher als einem lieb ist
Und dann geht’s bergab, rascher als einem lieb ist. Und in den allermeisten Fällen völlig unvorbereitet. Begleitet wird die Talfahrt von Schimpf und Häme; was Jahre lang aufgebaut wurde und im Guten gelang, wird unter dem Eindruck des Sturzes in wenigen Wochen ins Negative relativiert. Musse für eine faire Bilanzierung? Fehlanzeige! Abtauchen lautet die gängige Devise, ein Gebot zum Schutz auch von eigener Physis und Psyche.
Der Umgang mit Scheitern ist immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Akzeptanz von Erfolg.
Gerade wir in der Schweiz tun uns schwer, Aufstieg und Fall in vernünftigen Relationen zu sehen. Alfred Escher, der Vorzeige-Unternehmer des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wird zwar heute für seinen Pioniergeist gelobt. Ausgeblendet wird, dass der Erbauer der Gotthardbahn, Gründer der Credit Suisse und ein liberaler Freigeist, harsch kritisiert einen einsamen Tod starb.
Favre kam dem Verdikt seines Vereins zuvor; zu gehen, freiwillig, als noch freiwillig möglich war. Denn er wusste, dass Misserfolg im Konkreten blitzschnell zum Scheitern im Ganzen wird.
Blatter harrt trotzig aus. Und ist damit schon längst gescheitert. Vielleicht auch, weil er wie so viele nie gelernt hat, mit Niederlagen umzugehen.