In rund zwei Monaten wird in den USA ein neuer Präsident – oder eben erstmals eine Präsidentin – gewählt. Doch was dominiert die Schlagzeilen? Der Gesundheitszustand der zwei Kandidaten. Die Nation erregt sich über Fieber und BMI statt über Wachstum und Sicherheit. Als gäbe es noch eine Wahl.
Lagen Sie auch schon einmal flach? Mit Fieber im Bett, weil mit irgendeinem Käfer angesteckt? Hillary Clinton weiss, wie sich das anfühlt. Es hat sie ernsthaft erwischt, mit einer Lungenentzündung ist nicht zu spassen. Vor allem dann, wenn man Präsidentin der Vereinigten Staaten werden will. Ist die Kandidatin wirklich fit genug für das Amt, als oberste Befehlshaberin?
Eine Krankheitsgeschichte wird zur Staatsaffäre, jede Magen-Darm-Verstimmung gewesener Präsidenten zum Talk-Thema. Natürlich wählt Donald Trump für sein medizinisches Attest die Fernsehinszenierung. Bei Dr. Oz wird die Gesundheit des Republikaners im Instant-Verfahren bewertet. Übergewichtig sei er, analysiert der Fernsehdoktor, sonst aber in «good shape». Wir sind beruhigt, dass mindestens der Körper funktioniert; beim Geist war man sich bisher nicht immer ganz sicher. Inzwischen haben auch die Ärzte von Frau Clinton Entwarnung gegeben. Und ja, sie sei gesundheitlich robust genug, ins Weisse Haus einzuziehen.
Auf zur Urinprobe
Wer in ein politisches Amt drängt, braucht nicht nur einen langen Atem, sondern auch eine gute Konstitution. Was im höheren Alter nicht mehr zwingend eine Selbstverständlichkeit ist. Und trotzdem irritiert mich die Debatte über Cholesterinwerte, Lungenfunktion und Urinprobe. Denn sie zielt am eigentlichen Problem vorbei: die Beschränktheit der Auswahl. Die Amerikaner haben nun einmal nur die Wahl zwischen Clinton und Trump. Ob diese fit sind für das Amt, ist deshalb nicht mehr entscheidend, weil die Kandidaten für zwei völlig unterschiedliche politische Programme stehen. Wer als beinharter Demokrat der Gesundheit Clintons misstraut, wird doch nicht Trump wählen und umgekehrt!
Demokratie heisst immer auch die Selektion der nicht zwingend Fähigsten, wohl aber Willigsten durch den Bürger. Darum ist die Funktion seit 1951 nur auf Zeit geliehen. Spätestens nach zwei Amtsperioden ist Schluss. Trump wäre dann fast 80, Clinton eine Spur jünger.
Aus Sicht der Jugend Amerikas mag diese Verkalkung störend sein. Wobei es in Europa so viel besser auch nicht ist. Merkel ist 62, Gauck bereits 76, Putin 63, Junker 61. Und die Queen, immerhin das Oberhaupt einer Atommacht, hat diesen Sommer ihren 90. Geburtstag feiern lassen.
Nur ist es etwas schizophren, Gesundheit und Alter eines Kandidaten erst dann als Risiko wahrzunehmen, wenn die Auswahl längst erfolgt ist. In den USA sind sämtliche jüngeren Kandidaten bereits in den Vorwahlen ausgeschieden; einzig Bernie Sanders war mit 75 noch älter. Und die Jugend war von ihm begeistert.
Ein BMI von 30
Alter und entsprechend Gesundheit wären also Nebensächlichkeiten bei einer Ausmarchung, in der es zuvorderst um Arbeitsplätze, soziale Sicherheit, Terror, Wachstum und Migration ginge. Von solchen lässlichen Details liest und hört man derzeit aber wenig. 39,4 Grad Fieber und ein BMI von 30 – das sind die Fakten, die zählen. Statt Politik dominiert das Stethoskop.
Dabei haben Trump und Clinton für den Ernstfall vorgesorgt: Mike Pence und Tim Kaine sind als ihre designierten Vizepräsidenten jünger als 60. Vergleichsweise schlank. In der jeweils eigenen Partei besser gelitten. Und nur einen Herzschlag von der Präsidentschaft entfernt.
Erstmals erschienen in der Sonntagszeitung vom 18. September 2016. Korrigiert ist hier die Aussage, die Verfassung der USA habe bereits seit Anbeginn eine Amtszeitbeschränkung für den Präsidenten gekannt. Das ist falsch. Diese wurde erst 1951 auf Antrag des Kongresses als 22. Zusatzartikel in die Verfassung aufgenommen.