Donald Trump ist als 45. Präsidenten der USA gewählt, und zwar deutlich. Seine Ausfälle in alle Richtungen haben ihm nicht geschadet, auch nicht das Lügen und Grossmaulen. Von jetzt an wird er an seinen Taten zu messen sein. Das macht aber nicht ungeschehen, wie er im Wahlkampf aufgetreten ist. Denn setzt sich dieser Stil auch in Europa durch, wird es brandgefährlich.
Die Kuh ist vom Eis, der Elefant im Porzellanladen, und die Lemminge rennen in eine neue Richtung. Kollektives Jammern ist angesagt: Warum bloss haben wir diesen Mann so unterschätzt?
Haben wir das? Über Monate wurde Donald Trump hoch- und dann wieder runtergeschrieben. Hillary Clinton wiederum war stets auf Kellertour, mit Lungenentzündung ja angeblich eh kaum fit für das Amt. Am Ende schien es ausser Frage, dass sie die erste Präsidentin der USA werden wird, trotz des Kopf-an-Kopf-Rennens. Sie wurde es nicht, und alle sind erstaunt.
Ignoranz, das Undenkbare zu denken
Die Schönheit an der Demokratie ist, dass sie allen eine Chance bietet. Es ist auch ihr Nachteil. Amerika hat es eben wieder vorgemacht – aber eine Ausnahme ist das Land der unbeschränkten Möglichkeiten deshalb nicht. Es entsteht keine kollektive Weisheit aus individueller Ignoranz. Aber es gibt eben auch kein Vorrecht bildungsnaher Eliten, den Gang der Dinge zu steuern. Clinton und Heerscharen von Journalisten, Demoskopen und Wohlmeinenden sollten sich diese für sie bittere Lektion zu Herzen nehmen. Denn wer von diesem Ausgang überrascht wurde, muss sich Ignoranz vorwerfen lassen.
Als hätte es keinen Wahlkampf gegeben, keine Primaries. Dieser Donald Trump kam nicht «out of the blue» – sondern hat sich über viele Monate zunächst gegen ein stattliches Heer an internen Widersachern durchgesetzt, dann gegen eine ganze Partei, dann gegen die einzig verbliebene Kontrahentin. Mit ihm war zu rechnen.
Rotzlöflig und laienhaft zum Erfolg
Die Wohlstandsverlierer allein hätten Trump keinen Sieg beschert – ein Indiz dafür ist das Faktum, dass eine knappe Mehrheit der abgegebenen Stimmen an Clinton ging und nur die Hälfte der Wahlberechtigten überhaupt an die Urne. Nein; der Rotzlöffel und Politlaie hat gewonnen, weil er rotzlöflig und laienhaft seinem Stil von A bis Z treu geblieben ist und praktisch in allen relevanten Wählerschichten punkten konnte, beim Establishment, bei den Latinos und bei Frauen, denen der Sexist Trump offenbar kein Gräuel ist.
Europäer neigen dazu, sich in solchen Momenten kopfschüttelnd über die Kulturlosigkeit der Amis zu erregen. Als hätten wir nicht selbst ein Populisten- und Demagogen-Problem. Zu diesem gehört unter anderem, verbale und reale Grenzverschiebungen als „nicht dramatisch“ einzumitten. Das dient Männern vom Schlage Putins, Erdogans, Orbans und Co.; ihren wahren Rückhalt finden sie nicht in der Frustration der Unterprivilegierten, sondern in den politischen und wirtschaftlichen Eliten, die sich jeweils sehr rasch dienstbeflissen oder aber «pragmatisch» mit den neuen Gegebenheiten arrangieren.
Es kann ja sein, dass Trumps Wahlkampf nur Show war, zynische Stimmenoptimierung. Und vielleicht wird diese Präsidentschaft weniger übel, als man derzeit befürchten muss. Das macht allerdings nicht ungeschehen, wie Trump agiert hat: auf Kosten der Demokratie, des Respekts, der Menschenwürde, der Minderheiten. Das sind im Kern europäische Werte.
Sei anders, Europa!
Die nächsten Wahlen stehen in der Alten Welt an – in Frankreich, in Österreich, in Deutschland. Es wäre zu wünschen, dass sich der Kontinent seiner Geschichte erinnert und seine Bürger in ihrer Mehrheit nicht den Sirenenklängen der hiesigen Populisten und Demagogen folgen. Europa funktioniert nur durch Ausgleich und Offenheit.
Trumps Wahlsieg ist zu akzeptieren. Mit Trumps Stil und dessen Folgen arrangieren aber sollten wir uns nicht.
Erstmals in der Sonntagszeitung vom 13. November 2016 erschienen.