25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges wird es wieder merklich kühler auf dieser Welt. Russland ist zurück auf der Bühne und spielt in Syrien und an den Rändern Europas die Rolle des Muskelprotzes. Es ist Zeit, sich warm anzuziehen.
Er ist zurück. Auf der Weltbühne. Mit Muskeln und mit Hirn. Hoch zu Ross, in der Pose des Machos – die liebt Wladimir Putin.
Der russische Präsident ist kein Charmebolzen, sondern ein kühl kalkulierender Machtpolitiker mit Geltungsdrang. Vor allem aber ist er ein Kind des Kalten Kriegs – und eines des postsowjetischen Zeitalters. Beides hat diesen Mann tief geprägt. Diese Erfahrung macht ihn gefährlich, und sie macht ihn so erfolgreich.
Mission fast erfüllt
Angetreten war der ehemalige Geheimdienstoffizier einst, um den dramatischen Bedeutungsverlust Russlands nach der Auflösung der Sowjetunion zu korrigieren. Rund 25 Jahre später kann er die Mission als fast erfüllt betrachten. Natürlich schmerzen die Sanktionen, die der Westen nach der Annexion der Krim und wegen der aktiven Befeuerung des Sezessionskriegs in der Ostukraine gegen Moskau verhängt hat. Aber sie treffen den gemeinen Bürger, nicht den Machtapparat. Denn dieser herrscht über ein Riesenreich, das zwar in vielem marode, aber immer noch potent genug ist, um eine Clique von Gleichgesinnten und Mitläufern in Luxus durchzufüttern.
Daher irrt, wer glaubt, Putin werde einknicken: Der Mann weiss um die Beschränktheit der Wirkung der Massnahmen, er kennt den Westen und die dortigen Mentalitäten, und er fürchtet sich nicht, weil er vor sich gereifte Demokratien sieht, die zu einer wirklichen Gegenwehr gar nicht fähig sind, weil diese einen (zu) hohen Preis hätten. Das gilt insbesondere für Deutschland als ungewollte Führungsmacht Europas, in abgeschwächter Form aber auch für die USA unter deren Noch-Präsidenten Obama.
Und so wird es auch in Aleppo absehbar kein Ende der Schlächterei geben. Die Ausdehnung des Waffenstillstands um einige Stunden ist einzig eine zynische Geste der Gnade für die Todgeweihten und ein Minizugeständnis an Merkel und Co. Weder Assad noch Putin werden von der Eroberung der Stadt absehen. Für den Despoten in Damaskus geht es um Sein oder Nichtsein, für Putin um die Wiederherstellung einer dauerhaften russischen Präsenz im Nahen Osten. Und beide stehen kurz vor dem Ziel, denn auch hier versagen die Konzepte des Westens – die militärischen eingeschlossen.
Das Ende der Geschichte fand nie statt
Ich mag daher die immer gleichen Appelle an Humanität, an Völkerrechtsgrundsätze, an Vernunft und an so etwas wie moralische Verantwortung nicht mehr hören. Es sind Rufe der Hilflosigkeit, was sie zwar nicht falsch, aber eben absolut wirkungslos macht. Im Kreml sitzt kein Partner, schon gar nicht ein lupenreiner Demokrat – und niemand, der diese Sprache spricht, geschweige denn versteht.
Der Frühling des nachsowjetischen Kollapses ist längst Geschichte; Francis Fukuyamas Ende derselben aber hat nie stattgefunden. Nicht der Liberalismus und eine auf den friedlichen Ausgleich abzielende globale Ordnung haben sich seit 1992 durchgesetzt. Ganz im Gegenteil: Die Periode ist geprägt vom Erstarken des islamistischen Terrors, von Autokraten, Diktatoren und Demagogen, einer dramatischen Einschränkung der Freiheitsrechte und der Renaissance des Waffengebrauchs zur Machtdurchsetzung in den internationalen Beziehungen.
Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich das zum Guten ändern wird. Höchste Zeit also, sich warm anzuziehen. Väterchen Frost ist wieder da.
Erstmals publiziert in der Sonntagszeitung vom 23. Oktober 2016