„Das Publikum ist von unersättlicher Neugierde erfüllt, alles zu wissen, ausser dem, was wissenswert ist. Der Journalismus, der dies weiss, erfüllt in richtiger Geschäftskenntnis dieses Verlangen. In früheren Jahrhunderten nagelte man die Ohren von Journalisten an Pumpen. Das war sehr hässlich. In unserem Jahrhundert haben die Journalisten ihre eigenen Ohren an die Schlüssellöcher genagelt. Das ist weit ärgerlicher.“
Wie könnte es anders sein, es ist Oskar Wilde, der dies sagt. Und es liegt weit über 100 Jahre zurück. Und Wildes Botschaft ist eindeutig: Der Berufsstand des Journalisten hat einen schlechten Ruf, damals wie heute. Das ist mit einer gewissen Gelassenheit zu ertragen, denn wer geliebt werden will, der sollte um den Journalismus einen grossen Bogen machen.
Der Journalist zwischen Dramaqueen und Glamourgirl
Weniger gleichgültig lassen sollte uns aber die vielstimmige, oft auch schrille Kritik an Journalisten. Wir wissen nur zu gut, dass in unserem Geschäft einiges schief gehen kann – und leider auch einiges schief geht. Wollen Journalisten also nicht geliebt, aber respektiert werden, dann sollte der Berufsstand die Verantwortung für das, was und vor allem wie er es tut, Ernst nehmen.
Irgendwie pendeln Journalisten immer ein wenig zwischen Dramaqueen und Glamourgirl – seelisch jedenfalls sind sie nicht sehr ausgeglichen, als Berufsmenschen. Es sind Meister im Austeilen, leiden aber wie Hunde, wenn sie selbst in die Mangel genommen werden. Sie fühlen sich erhaben, allwissend, sind aber bei der nüchternen Analyse des eigenen Tuns betriebsblind, uneinsichtig und beratungsresitent. Sie sonnen sich im eigenen Ego, ohne zu merken, dass die Selbstinszenierung des Journalisten auf Kosten des Journalismus‘ geht – und von weiten Teilen des Publikums eher mit Argwohn als mit Bewunderung verfolgt wird.
Das Internet als Bedrohung
Meine Vermutung ist, dass mit solchem Verhalten im Grunde nur kaschiert wird, dass sie im Zeitalter der Konvergenz und der sogenannt multimedialen Kanalkompetenz viel stärker an den dramatischen Veränderungen des Medienmarktes nagen, als sie es sich eingestehen.
Das ist für Journalisten bei allen Chancen, die das Internetzeitalter bietet, in erster Linie einmal eine Bedrohung – weil ohne vernünftige Refinanzierung dessen, was in dieser Branche geleistet wird, das, was sie eigentlich leisten sollte, nicht mehr zu leisten sein wird. Die gern zitierte Digitalisierung ist dabei erstens keine Strategie, sondern eine zwar unabdingbare, aber dennoch nur operative Vorgehensweise. Und zweitens ist (anspruchsvoller) Onlinejournalismus für die Redaktionen nicht mit weniger, sondern mit mehr Aufwand verbunden – und zwar auf allen Ebenen. Es gehört zu den Absonderlichkeiten dieses Metiers, dass dies bis heute noch immer nicht überall verstanden wird.
Zurück zur Geschwätzigkeit des Dorfbrunnens
Mehr denn je zählt das Tempo, nicht das gemessen Voranschreiten, das laute wird dem leisen Wort vorgezogenen – die Polemik der Reflektion. Mit dieser Nachfrage ist auch der Journalismus konfrontiert. Und sie wird umso williger befriedigt, weil dies mindestens auf kürzere Sicht durchaus lukrativ sein kann. Längerfristig gräbt diese Form von Ambitionslosigkeit allen eine tiefe Grube.
Oskar Wilde hat dieses Verhalten wie eingangs zitiert schon im vorletzten Jahrhundert als „logisch“, wenn auch als ärgerlich kritisiert. Tatsächlich kann einen der böse Gedanken kommen, die Welt könnte sich tatsächlich informationstechnisch wieder dorthin zurückentwickeln, wo sie vor einigen Jahrhunderten schon einmal stand: Zum Dorfbrunnen, wo Geschwätzigkeit, Halbwissen und Gerüchte den Alltag der Menschen bestimmte – und einige wenige die Macht besassen, dies zu ihren Gunsten zu nutzen.
Heute heisst dieser Brunnen Facebook oder Twitter, um nur exemplarisch zwei soziale Medien der Gegenwart zu nennen – wobei der Marktplatz der Eitelkeiten, des Hinterhältigen, des Blauäugigen und des Verführerischen dank der Verbreitung in Bits und Bytes zeitlich, geographisch und mengenmässig schrankenlos geworden ist. Wen wundert es, wenn in einer solchen Welt während Wochen die Fälschung, oder Echtheit, oder war es nun die Satire über die Echtheit der Fälschung? – kurzum: wenn über Wochen der Mittelfinger des griechischen Finanzministers plötzlich das dominierende Thema ist, wenn innerhalb von wenigen Stunden nach einem Flugzeugabsturz Küchenpsychologen den Gemütszustand von Piloten deuten oder selbst auf seriösen Nachrichtensites Herrscharen von Trollen Wahrheiten zur Lüge und Lügen zur Wahrheit umdeuten können, wie es bei der russischen Expansion in der Ostukraine seit Monaten der Fall ist.
Journalisten sind vor solchem Irrlichtern nicht gefeit, weil sie einerseits simpel gesprochen auch nur Menschen unserer Zeit sind, andererseits aber auch immer abzubilden haben und mitleben, was die Zeit aus uns Menschen macht. Selbstkritisch müsste man sich aber auch eingestehen, dass Journalisten und Verleger in den letzten Jahren selbst viel dafür getan haben, den Berufsstand in Frage zu stellen – etwa dann, wenn sie solche Hysterien anzetteln, sie befeuern bzw. sich ihrer unkritisch annehmen.
Und gerade deshalb begegne ich dem sogenannt partizipativen Journalismus mit einiger Reserviertheit. Ich kenne keine andere Berufsgruppe, die sich in so kurzer Zeit so freigiebig der Mitsprache und dem Mitspracherecht durch alle und jeden geöffnet hat. Es wäre mir jedenfalls neu, dass sich der Metzger über die Güte des Fleisches dreinreden lässt oder der Neurologe seine Diagnose von den Likes seiner Postings abhängig macht. Von Selbstvertrauen in das, was uns Journalisten von Nicht-Journalisten unterscheidet, zeugt es jedenfalls nicht.
Mélange aus Schund und Ramsch
Ohne Wenn und Aber: Die viel besungene Demokratisierung des Internets hat im Journalismus durchaus Gutes bewirkt. Leider steht auf der Negativseite eine zunehmende Infantilisierung und Verarmung dessen, was wir gemeinhin als Journalismus bezeichnen. Schund und Ramsch vermengt sich mit Werthaltigem und Tiefsinnigem. Diese Mélange ist daher so fatal, weil sie für den Konsumenten nicht mehr erkennbar aus mehreren Teilen besteht, sondern eine graue Molasse ist. Hören wir also schleunigst damit auf, Journalismus als Berufsgattung obsolet zu machen, weil die Beteiligung von Hinz-und-Kunz den scheinbar wichtigeren Beitrag leistet als eine profunde Ausbildung, die im Rahmen einer branchenweiten und gattungsneutralen Berufszertifizierung zu schützen wäre.
War der Speakers Corner früher ein begrenzter Raum, in dem sich selbsternannte Weltdeuter und Spinner an ein überschaubares Publikum richten konnten, ist der Einbezug jedes und jeder bei der journalistischen Selektion, Kuration und Interpretation des Geschehens inzwischen zum eigentlichen Mantra in vielen Verlagshäusern geworden. Journalisten werden in einer Mischung aus Staunen, Schaudern und Überforderung blitzschnell zu willfährigen Dienstleistern, statt dass wir gemeinsam Grenzen setzen dort, wo die viel beschworene Einbindung des Konsumenten keinen publizistischen Mehrwert bietet, sondern vielmehr grundlegende journalistische Prinzipien gefährdet.
Ich halte nicht viel vom Pathos der Berufung; Journalismus ist ein Handwerk, wenn auch ein ehrbares und in Demokratien und Diktaturen unabdingbares, weil Transparenz schaffendes. Aber etwas mehr Herzblut bei der Verteidigung dieses Ethos, das wünschte ich mir schon. Das gesagt gehört natürlich in einer Zeit der fundamentalen Transformation ein Mehr an unternehmerischem Denken dazu, vor allem bei Journalisten. Sich den Gesetzmässigkeiten von Markt und Wettbewerb in einer Redaktion zu verweigern, ist falsch verstandene Arbeitsteilung zwischen Medienmanagement und Journalismus.
Denn die Folge dieser Verweigerungshaltung ist unter vielem, dass das Spezifikum journalistischen Arbeitens immer weniger verstanden wird. Zum Beispiel, dass ein Journalist Inhalte herstellt, die nicht reproduzierbar sind. Wir sind Meister der Einzelanfertigung – nicht standardisierbar, nicht für eine industrielle Massenproduktion tauglich. Punkt.
Platte Glaubensgrundsätze sind kein Rezept
Das gesagt bleibt wichtig und richtig, in Redaktionen, auf Korrespondentenposten oder im Netzwerk freier Journalistinnen und Journalisten auf eine gute Durchmischung von Kompetenzen, Qualifikationen und Charakteren zu achten. Und es irrt, wer meint, mit platten weltanschaulichen oder gar politischen Glaubensätzen eine Redaktion führen zu können. Ein guter Journalist ist vor allem einmal einer, der nicht nach Nullachtfünfzehn strebt, sondern immer ein wenig fünf vor zwölf hat. Ein Journalist, eine Journalistin, benötigt immer auch ein Quäntchen Narrenfreiheit, soll er oder sie nicht nur faktenorientiert und akribisch präzise, sondern eben auch immer aufrüherisch, aufklärerisch, anregend und bildend sein. Dabei dürfen wir eines nie vergessen: Journalisten sind Sprachrohr, Täter, Opfer und Richter in einem – was Macht verleiht, mit der sorgsam umzugehen ist. Schlendrian gerade in diesen Dimensionen rächt sich bitter.
Einen so verstandenen Beruf lässt sich nicht einfach in eine Excel-Tabelle giessen und damit einen Businessplan berechnen. Genau darum ist meine Achtung vor dem generationsübergreifendem Verlegertum in den letzten Jahren gewachsen. Auch dieses ist vor Dummheiten nicht gefeit; aber gedacht wird in der Regel nicht in Quartalen, sondern in Dekaden. Und an Journalistinnen und Journalisten appelliere ich, sich Wissen und Mitsprache in verlegerischer Fragen zu erarbeiten, statt sich als Angestellte Schritt für Schritt von unternehmerischen Entscheidungen zu entmündigen. Anders als branchenfremde Manager und Berater wissen Journalisten wie keine andere um die Ingredienzen dieses so speziellen Geschäftes. Etwa, dass man nicht alles berechnen kann – vor allem eines nicht; die Güte von Inhalten und deren Akzeptanz auf dem potentiellen Markt. Journalismus – mindestens jener mit Anspruch – ist knochenharte Langzeitarbeit. Und er bedarf der stetigen, unaufgeregten und verlässlichen Pflege, Hege und Sorgfalt.
Dieser Ambition steht das Mittelmass gegenüber. Das viel gescholtene „Mainstreamige“ gerade im Journalismus ist letztlich nur ein Abbild einer gesellschaftlichen Entwicklung, ein Spiegelbild der sättigenden und eindösenden Genügsamkeit. Und so existiert leider eine Hybris zwischen hysterischer Aufgeregtheit über wenig Relevantes und dem gelangweilten: „Ach herje, das interessiert doch Niemanden“ bei durchaus Gewichtigem. Wen wundert es, wenn bei einer solchen Einstellungen nicht nur die Glaubwürdigkeit des Berufes leidet, sondern sich auch immer mehr Menschen vom Journalismus abwenden bzw. keinen Unterschied mehr erkennen können zwischen Berufsleuten, dem Hobby-Schreiber, dem Möchtegern-Reporter, dem Kommunikationsbeauftragten, dem Native Advertiser oder dem Lobbyisten.
Per definitionem „schnell“
Ich halte nicht viel vom „Entschleunigungs“-Mantra, dass nun auch im Journalismus wieder Einzug hält. Journalismus, mindestens der Aktualitäts-orientierte, ist per definitionem „schnell“. Sehr wohl aber glaube auch ich, dass wir ein Mass an Aufgeregtheit erreicht haben, dass dem Wesen des Journalismus zuwiderläuft: Nämlich die Prüfung der Sachlage, bevor man sie verkündet und gleich auch schon interpretiert. Mut zur Lücke und Mut zur Reflexion, kurzum: mehr Sorgfalt und Demut vor der Tatsache, dass das Sofortige oft auch das rasch Vergessene ist, täten gut. Denn die berufliche Existenzberechtigung ist nicht in erster Linie die Geschwindigkeit, sondern die Fähigkeit, relevant von unwichtig zu trennen, Informationen also zu kuratieren und so aufzubereiten, dass neben dem rein Faktischen auch ein Erkenntnisgewinn durch die Einbettung in das grössere Ganze erzielt wird.
Dafür kann man Geld verlangen. Für alles andere gibt es entweder keine Nachfrage oder schon zig Anbieter, die zu deutlich tieferen Gestehungskosten deutlich bessere Produkte anbieten. Google beispielsweise, oder auch Facebook – die sinnigerweise beide nun von renommierten Verlagshäusern als Partner akzeptiert werden; sinnigerweise, weil man noch eben einen Kampf gegen Snipets und für das Leistungsschutzrecht führte und gemeinsam in das hohe Lied der Bezahlinhalte einstimmte.
Es fällt auf, wie sehr wir uns bei der Debatte über die Zukunft der Medien mit Fragen der Verpackung beschäftigen, statt mit jener der Inhalte. Es dominiert das Technologische, das Markentechnische, die Verkäuflichkeit von Inhalten; wie diese aussehen oder aussehen könnten und vor allem, mit welchen Fragen sich diese beschäftigen sollten, bleibt sehr oft eine etwas akademische Diskussion unter Fachleuten und ambitionierten Journalisten.
Inhalt als „notwendiges Übel“?
Die Marginalisierung der Inhaltsdiskussion widerspiegelt sich auch auf höchster Managementebene oder in Verwaltungsräten; es hat praktisch keine Journalisten in solchen Gremien mehr, und angesichts der dramatischen Veränderungen im Medienmarkt richtet sich das Augenmerk bei der Besetzung von Führungsfunktionen nachvollziehbarerweise sehr stark auf die betriebswirtschaftliche und unternehmerische Kompetenz. Wen wundert’s, wenn in einer solchen Atmosphäre das Kerngeschäft, so es denn überhaupt noch eines ist, öfters als „notwendiges Übel“ denn als wertschaffend wahrgenommen wird?
Kurzum: Wir sollten uns als Journalisten, als Verleger, Herausgeber, Bürger und Konsumenten wieder bewusster werden, wem und für was journalistische Arbeit eigentlich dient. Nehmen wir uns dabei nicht zu wichtig; bleiben wir kritisch nicht nur gegenüber Dritten und Drittem, sondern auch gegenüber uns selbst; vermeiden wir Zynismus, weil er uns nicht zusteht, und Arroganz, weil sie uns blind macht; und seien wir achtsam, ob das, was in welcher Form und in welchen Kanälen auch immer publiziert wird, wirklich Hand und Fuss hat.
(bearbeitete Fassung meiner Rede, die ich anlässlich der Verleihung des Zürcher Journalistenpreises 2015 gehalten habe)