Es gibt viele Gründe, über den Weltenlauf zu hadern. Dabei leben wir in einer Zeit, in der im Guten so vieles erst möglich wird. Daher plädiere ich gegen den Abgesang und für mehr Zukunftsglauben.
Neulich bin ich von einem klugen Kopf gefragt worden, welche Themen für die Zukunft wirklich wichtig werden könnten. Ich habe mehrere Tage gezögert, auf das Facebook-Crowdsourcing zu antworten – weil ich mich nicht entscheiden konnte. Denn alles, was mir durch den Kopf schoss, klang düster: Überalterung und Rentenkollaps, Fundamentalismus und Terror, Politikverdrossenheit und Niedergang des Abendlandes. Irgendetwas sträubte sich in mir, in diesen Abgesang einzustimmen.
Demokratie mit Uhu-Stiften
Intuitiv neigen wir Menschen dazu, die Zukunft pessimistisch zu beurteilen, wenn wir mit der Gegenwart hadern. Und zu Euphorie über den Weltenlauf besteht derzeit wahrlich kein Grund: im Norden viel Kanzler-Bashing und noch mehr Wutbürger, im Osten – dem grenznahen – Demokratie mit Uhu-Stiften, weiter östlich Bürgerkrieg mit Drittbeteiligung. Im Süden Staatszerfall und Armut, kombiniert mit Massenflucht, im Westen ein «harter» EU-Austritt und Burka-Verbote. Und überall tummeln sich Populisten.
Wir leben in einer Zeit der Ressentiments, der Mutlosigkeit, der Radikalisierung. Das demokratische Prinzip des partizipativen Bürgers löst sich immer mehr zugunsten einer Mehrheit der Ablehnung auf. Es ist irgendwie egal, warum wir gegen etwas sind: Hauptsache, wir können mit einem kräftigen «Nein!» unseren Unwillen artikulieren.
Zucker und Gift für den sozialen Frieden
Das mündet bedauerlicherweise nicht selten in den Zuspruch für Parteien oder Politiker, die sich das Bashing zum Programm gemacht haben. Das ist zwar destruktiv, aber es wirkt wunderbar als Ventil für Gefühle wie Angst, Wut, Frust und Missgunst. So gesehen, dient der trotzige Protest vielleicht der Erhaltung des sozialen Friedens und der individuellen Genugtuung, es «denen wieder mal gezeigt zu haben». Allerdings funktioniert das nur vorübergehend, weil auch dieses Ventil irgendwann ausleiert – spätestens dann, wenn die Verantwortlichen für ihre Politik geradestehen müssen und somit ihrerseits Enttäuschungen provozieren bei denen, die an die hehren Versprechungen geglaubt haben. Was dann Gift für den sozialen Frieden ist.
Ein Grundproblem des demokratischen Wettbewerbs ist die Orientierung am nächsten Wahltermin. Das begünstigt kurzfristiges Denken und politischen Opportunismus, und zwar bei Sendern (den Politikern) und Empfängern (den Bürgern) gleichermassen.
Lautes Grundrauschen der Ablehnung
Vielleicht ist daher gerade das die grösste Herausforderung für die Demokratien des wohlhabenden Westens: Wie finden wir zurück zu einer Politik, die Probleme löst, statt laufend neue zu schaffen? Wie bekämpfen wir unsere schlechten Launen, diese unspezifische Furcht, diese unzähligen Ressentiments, die Wut und die Missgunst? Wie verhindern wir Entscheidungen, die nur noch Stimmungsschwankungen abbilden? Das Grundrauschen aus Ablehnung und Skepsis jedenfalls befördert die gesellschaftlichen Versteinerung.
Wer nur noch auf sich und das Hier und Jetzt achtet, der mag Besitzstände sichern. Nachweislich weitergebracht aber hat die Menschheit genau das Gegenteil: Fantasie, Mut und Pioniergeist. Neues anzupacken und zuzulassen, Widerstände überwinden und Herausforderungen meistern – das fordert Weitsicht, nicht den Tunnelblick.
Gefallen hat mir daher ein Eintrag in der langen Liste schlauer Vorschläge, was in Zukunft vielleicht wirklich wieder wichtig werden könnte: Utopien.
Erstmals publiziert in der Sonntagszeitung vom 16. Oktober 2016.