Der vulgäre Sexismus von Donald Trump nimmt Mann biologisch in Sippenhaft. Frau wiederum kann inzwischen fast alles als „sexistisch“ wahrnehmen. Als Konsequenz wird die nicht-amouröse Geschlechterbeziehung entkörperlicht. Ich finde das falsch – und langweilig.
«Dünnes Eis!», warnte mich mein Umfeld, mehrheitlich Frauen. Ich wage sie trotzdem, die Gegenrede zur HashtagSexismus-Debatte, die derzeit durchs Land wabert. Weil sie Frauen pauschal zu Opfern macht, auch wenn sich diese nicht als Opfer sehen und nicht als solches herhalten wollen. Weil sie Männer auf Trieb reduziert. Und weil hier Dinge vermischt werden, die nicht vermischt gehören – auch aus Respekt vor jenen Frauen weltweit, die sexuelle Gewalt erleben: Drohungen, Schläge, Vergewaltigung, Säureattacken, Genitalverstümmelung.
Trump ist ein Nihilist
Donald Trump verachtet Frauen, Latinos, Schwule, Journalisten, die Demokratie und vieles mehr. Sein vulgärer Sexismus ist kein Ausdruck einer hormonellen Fehlsteuerung, sondern spiegelt den Nihilismus eines Menschen. Es bleibe uns erspart, dass dieser Mann am 8. November Präsident des mächtigsten Staates dieser Welt wird.
Wer eine Frau verbal verunglimpft oder begrapscht, dem gehört eine geschmiert und/oder eine Anzeige angedroht. Das gilt auch vice versa und gleichgeschlechtlich, denn verletzt wird die Integrität der Person. Garderobenzotigkeiten, Soldatenwitze und Herrenabendschlüpfrigkeiten wiederum sind schlicht primitiv. Wer schweigend dabeisitzt, macht sich gemein. Und ja, es sind leider eher Männerrunden, die dazu neigen.
Können wir nun kurz tief Luft holen und das so stehen lassen? Und ohne Vorwurf des Sexismus zur Verteidigung von all jenem schreiten, was eine Interaktion menschlich macht? Ein Kompliment zum Beispiel, ein Lächeln, eine Geste des Dankes, ein Blick, ein Flirt, ein Schulterklopfen, eine Umarmung?
Kein Kompliment, keine Umarmung
Folgt man der hiesigen «Aufschrei»-Debatte, kommt man ins Grübeln. Sexistisch ist offenkundig fast alles; auch vieles von dem, was uns als Menschen von Geburt an prägt – Nähe beispielsweise, Gefühle wie Zuneigung oder Mitleid, Körperlichkeit. So wird die freundschaftlich gemeinte Umarmung oder ein «Wow, bist du toll» blitzschnell zum Fanal, weil ja beides sexuell intendiert sein könnte.
Wohin diese extensive Sexismuswahrnehmung führt, zeigt uns just das trumpsche Habitat: In Amerika wurde über Jahre die Geschlechterbeziehung emotionalisiert, dann moralisiert, problematisiert und schliesslich sanktioniert. Daher findet heute keine Liftfahrt mehr als Mann allein mit einer Frau statt, keine Besprechung bei geschlossener Bürotür, kein Lächeln beim Kaffeeautomaten in der Corporate und schon gar kein «hugging» auf dem Campus – und selbst wenn dieses tröstend gemeint ist zwischen zwei Frauen.
Letzteres ist übrigens kein Scherz: Eine Kollegin wurde dafür in den USA wegen «unangebrachten Verhaltens» von der Universitätsleitung abgemahnt.
Körperkult ja, Körperlichkeit nein
Das zu Ende gedacht, führt zu einer Entkörperlichung, nicht nur der Frau, sondern auch des Mannes – paradoxerweise in einer Zeit, wo wir wie nie zuvor auf Äusseres achten und einen extensiven Körperkult betreiben. Es zählt nur noch die Ratio, nicht die Sinnempfindung. Reizaussendung und -empfang sind eingestellt. Wie langweilig wird unser Leben!
Ich plädiere daher für einen Gegenentwurf; die Freiheit für uns Frauen und Männer, solche Zeichen der sozialen Interaktion, der Wertschätzung, des Respekts und der Zuneigung nicht nur zu spenden, sondern auch zuzulassen oder abzulehnen. Mit Sexismus hat das nichts zu tun. Mit gesundem Menschenverstand dagegen viel.
Erstmals erschienen in der Sonntagszeitung vom 30. Oktober 2016.